Eine Geschichte vom prallen Leben

Kultur / 09.10.2020 • 21:31 Uhr
Verena Roßbacher bei der Lesung im Friedrichshafener Kiesel. voith
Verena Roßbacher bei der Lesung im Friedrichshafener Kiesel. voith

Vorarlberger Autorin Verena Roßbacher hat ihr Publikum begeistert.

Friedrichshafen, Bludenz Einen außergewöhnlichen Genuss hat die aus Bludenz stammende, heute in Berlin lebende Autorin Verena Roßbacher mit ihrer Lesung aus dem jüngsten Roman „Ich war Diener im Hause Hobbs“ im Friedrichshafener Kiesel geboten.

Selten hat jemand so lebendig und dabei so völlig natürlich gelesen, ohne die geringste Spur von Manieriertheit, dafür mit einem von innen kommenden Vergnügen. Das passte auf den Punkt zur Ich-Erzählung. Die Tempi, die Lautstärke, die Betonungen bildeten hier eine stimmige Einheit – und das im Kontrast zum Geschehen. Der Butler Christian Kauffmann versucht zu rekonstruieren, wie es an seiner ersten Dienststelle nach zehn Jahren zur Katastrophe gekommen ist. Ganz unterschiedliche Menschen aus zwei Welten treffen aufeinander: hier die gut betuchte Züricher Haute-Volée, dort seine provinzielle Vergangenheit in der Heimat. In einer Passage ist der Zuhörer mitten drin im Markttreiben in Feldkirch. Der Butler muss seine Herrin dorthin begleiten und kann nicht verhindern, dass seine alte Clique aus der Schule auftaucht und sie ihren Butler in ganz anderem Licht sieht: Dazu die Autorin: „Hier nimmt das Schicksal seinen Lauf.“ Köstlich, welche Blüten die Sprache hier treibt, etwa wenn vom „Wohlwollen der Sonne“ die Rede ist oder erst recht, wenn die Jugendfreunde in den Teenager-Jargon verfallen. In heimischer Umgebung geht es nicht um sprachliche Korrektheit. Doppelbödiger Humor entsteht fast nebenbei, lässt schmunzeln. Frau Hobbs und ihr Butler samt Freund Olli sind unterwegs zur Schubertiade. Welten stoßen aufeinander, nehmen den Zuhörer gefangen, lassen ihm aber genügend Luft, das Ganze ein wenig zu reflektieren. Christian, für die Freunde Krischi, für Frau Hobbs Butler Robert, wird für die Herrin jugendlicher, menschlicher.

Klug und süffig

Betty Hobbs ist die attraktive Gattin eines reichen Zürcher Anwalts. Dass es im Roman auch dramatisch zugeht, dass es zum Skandal, zum Mord kommt, wird angedeutet, aber nicht verraten. Gleich am Beginn des Romans tun sich Abgründe auf, Christian muss selbst erst seine Gedanken sortieren, er sei ein „unzuverlässiger Erzähler“, der seine Rolle in der Geschichte erst finden, seine eigene Vergangenheit neu deuten muss. „Was passiert ist, bleibt ein großes Rätsel.“ Der Roman sei kein Krimi. Entwicklungen werden sichtbar, auch wenn es kein Entwicklungsroman im klassischen Sinn ist, aber ein Roman, der die entscheidenden Fragen des Lebens stellt, Ängste und Verunsicherungen zeigt. Dass bekannte Orte wie Feldkirch und Zürich vorkommen, macht das Ganze noch anschaulicher. „Ich wollte ein komplexes Buch mit Anspruch und leicht lesbar, klug und süffig, ein Weg, der mir liegt“, sagt die Schriftstellerin. Die gelesenen Ausschnitte enthalten auch eine urtümliche Fröhlichkeit. Das Vorführen von prallem Leben hat wie selten Lust aufs Lesen gemacht. hv