Flucht damals und heute
In den letzten Tagen habe ich (anlässlich des bevorstehenden Holocaust-Gedenktages am kommenden Mittwoch) ein Buch gelesen, das bereits vor einiger Zeit erschienen ist: „Die Flucht der Dichter und Denker“ von Herbert Lackner (Ueberreuter Verlag). Lackner ist ein bekannter österreichischer Journalist, er war mehr als zwei Jahrzehnte Chefredakteur beim Nachrichtenmagazin Profil. Lackner erzählt in diesem Buch über die Gräueltaten der Nationalsozialisten im Allgemeinen, über die Verfolgung der Künstler im Besonderen, über die Ermordung vieler und über die wenigen, denen die Flucht gelang. Er zeigt die Dramatik der Schicksale von Dichtern, Künstlern und Wissenschaftlern, er zeigt, wie manche „Künstler und Wissenschaftler den Nazis entkamen“.
Es ist kein wissenschaftliches Buch, dazu fehlen auch die Apparate (dass kein Personenregister enthalten ist, schmerzt allerdings), es ist ein journalistisches Buch, das sich demgemäß – trotz des schweren Themas – gut und flüssig liest. Alle geläufigen Namen zeigen, wie rücksichtslos die Nazis mit der geistigen Elite umgingen. Wir begegnen Thomas, Heinrich, Erika und Golo Mann, Franz Werfel, Alma Mahler-Werfel, Sigmund Freud, Lion Feuchtwanger, Ödon von Horvath, Alfred Döblin, Stefan Zweig, Max Ernst, Robert und Einzi Stolz, Bertolt Brecht, Marc Chagall, Billy Wilder, Hermann Leopoldi und vielen, vielen anderen. Sie alle eint, dass sie ihre Heimat verlassen mussten, dass sie vor einem Regime aus rassischen, künstlerischen oder politischen Gründen flüchten mussten, vor einem Regime, das weder Achtung vor Menschen und auch nicht vor der Kunst hatte, das die Unliebsamen in den Tod schickte. Es sind unglaubliche Geschichten, die Herbert Lackner erzählt.
Nach diesem Buch habe ich mir gedacht: Wo ist der Unterschied zwischen damals und heute? Damals mussten Menschen aus ihrer, aus unserer heutigen Heimat fliehen, weil sie daheim verfolgt und umgebracht wurden. Auch heute fliehen wieder Menschen. Wir aber denken nicht mehr an unsere Vorfahren, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten, wir machen aus Europa, speziell aus Österreich, eine Festung, die möglichst wenige, noch besser: niemanden hereinlässt. Die Flüchtenden in der Generation unserer Väter und Großväter, Mütter und Großmütter waren dankbar, wenn sie irgendwo in anderen Ländern aufgenommen wurden. Wir, vor allem unsere österreichische Volkspartei, machen die Türen zu, an die Flüchtende klopfen. Der frühere Bundeskanzler Bruno Kreisky hat einmal zu einem Journalisten gesagt: „Lernen sie Geschichte, Herr Redakteur!“ Ich würde gerne sagen: „Lernen sie aus der Geschichte, Herr Bundeskanzler Kurz!“
„Wir, vor allem unsere österreichische Volkspartei, machen die Türen zu, an die Flüchtende klopfen.“
Walter Fink
walter.fink@vn.at
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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