Der Morgen als Quelle der Kraft

Was machen Sie am Morgen? Aufstehen und…? Einer dieser Morgen war es, als ich unüberlegt in den Spiegel blickte und mit Entsetzen mich im Spiegel wahrnahm: Das bin ich, fragte ich mich oder besser gesagt, stellte ich mit Entsetzen fest. Diese abstehenden Haare, geknickte Haarstiele in alle Richtungen, zerknittert meine – wie ich zuvor dachte – so glatte Gesichtshaut, Augenfältchen als schwarze Striche. Unfreundlich irgendwie dieses ganze Gesichtsgehabe. So erblickt mich mein Partner jeden Morgen, fuhr es mir durch die Gedanken, so muss mich mein Partner morgens sehen, dachte ich entsetzt und schielte ins gegenüberliegende Partnerspiegelbild. Er neben mir schien nichts von mir zu bemerken, verrichtete seine Morgentoilette, in sich gekehrt, bei sich, nicht aufs Außen bedacht. Mich und meine Morgenhässlichkeit nicht entdeckt… welch eine Erleichterung! Danach machte ich viele Morgengesichtfotos von mir, Selfies, die ich immer noch sammle. Nicht nur von mir, sondern auch von anderen Menschen – auch von Christian Futscher, den Sie ja kennen, habe ich ein Morgengesichtfoto erhalten. Daraus entstanden Ausstellungen und Texte. Texte über das Aufstehen, über das Gefühl beim Aufstehen, den Morgen, die Morgenträgheit und Müdigkeit. Günter Vallaster hat einen wunderbaren Text über das Morgenerwachen bis zum Willkommensdjingel seines Computers geschrieben, Friederike Mayröcker über das zerknitterte Rosenblatt in ihrem Gesicht. Wenn Sie morgen in der Früh also aufstehen und ins Bad gehen, beobachten Sie sich: Was machen Sie, wie verhalten Sie sich, was erblicken Sie in Ihrem Spiegel, wenn Sie dort einen müden Blick hineinwerfen? Sie werden staunen. Sie werden erschrecken. Sie werden sich wundern. Und dann schreiben Sie das auf. Trauen Sie sich zu benennen, was Sie sehen und was Sie fühlen: Es wird Ihr erster bester Text.
Mut- und Muntermacher
Egal, welche Tätigkeit Sie ausüben: Jeder Mensch sollte jeden Tag zwanzig Minuten an seinen Morgenseiten schreiben. Wenn Sie also schon viele Texte über Ihre Morgenbefindlichkeit, über Ihr Aussehen, über Ihren Morgengrant und Ihre Morgenhoffnung geschrieben haben und eine Morgenleere eingetreten ist, geben Sie nicht auf: Jetzt erst beginnt Ihr Leben: Jetzt ist es Zeit, mit den Morgenseiten (im engl. Original Morning Pages) zu beginnen. Schreiben Sie jeden Morgen, bevor Sie mit Ihrem Tagesgeschäft beginnen, zwanzig Minuten.
Um die Gehirnaktivität wirklich in Gang zu bringen, sollten Sie mit der Hand schreiben. Also mit einem Stift, auf Papier. Schreiben Sie einfach drauf los, was Ihnen einfällt, wie Sie sich fühlen oder nichts fühlen, was haben Sie geträumt, was haben Sie versäumt, Erinnerungen an den gestrigen Tag, was sehen Sie, wenn Sie so dasitzen, blicken Sie aufs Fenster, auf die Wand, ist da eine Spinne, sehen Sie den Nachbarn in der gegenüberliegenden Wohnung, was macht Ihnen Sorgen, wovor haben Sie Angst, schreiben Sie intuitiv, ohne einen Gedanken herbeizuzwingen und ohne sich vorher Gedanken über Thema oder Stil zu machen. Schreiben Sie, schreiben Sie einfach drauflos und wenn Ihnen nichts einfällt, schreiben Sie lauter „llllllll“.
Nicht nur Schriftsteller bedienen sich dieser Methode, um – auch in einer Kreativitätskrise – ins Schreiben zu gelangen, auch für viele andere Menschen sind die Morgenseiten zu einer Quelle der Kraft geworden. In meinen Workshops erzählen die Teilnehmer immer wieder begeistert, wie positiv sich dieses morgendliche Schreiben auf ihr inneres Gleichgewicht auswirkt. Die Morgenseiten sind dazu da, alles, und eben auch das Negative auf diesen Seiten festzuhalten, sich rauszubuddeln aus dem Negativen, um den Tag unbeschwert und leicht beginnen zu können. Lesen Sie die Seiten nicht mehr durch und lassen Sie diese Seiten auch niemanden lesen.
Morgenseiten schreiben Sie, damit Sie Ihr Leben erfüllter, kreativer, lebendiger leben können. Sie sind Begleiter, Mutmacher und Muntermacher. Morgenseiten sollten Sie morgen früh beginnen und nie mehr aufhören. Sie werden Ihr Leben verändern.
Elfchen ist keine Elfe
Erwachsene und Kinder lieben Elfchen! Ein Elfchen hat nichts mit Elfen zu tun, sondern ist ein Gedicht, das aus elf Wörtern und 5 Zeilen besteht.
Gerade die Einfachheit der Begriffe macht es leicht, auch in einer Fremdsprache ein Gedicht zu verfassen. Gedichtet wird nach einem Bauplan, für jede Verszeile gibt es eine Anforderung: Ein Wort (eine Farbe oder eine Eigenschaft/bzw. Name oder Nomen). Zwei Wörter (ein Gegenstand oder eine Person mit Artikel/bzw. Adjektiv od. Adverb zu 1). Drei Wörter (Wo und wie ist der Gegenstand, was tut die Person/bzw. was geschieht?) Vier Wörter (etwas über sich selbst schreiben) Ein Wort (als Abschluss /bzw. Zusammenfassung).
Winter/Bitter kalt/ Der Schneesturm tobt/ Ich im wohligwarmen Zimmer/ Träume.
Und nun versuchen Sie das Ganze in Englisch, Italienisch, Spanisch, Türkisch oder im Dialekt.
Zur Person
Erika Kronabitter
Geboren 1959 in Hartberg, lebt in Vorarlberg und Wien
Ausbildung Studium der vergleichenden Literaturwissenschaft. Tätigkeit Schriftstellerin, Literaturvermittlerin, Herausgeberin der Reihe „Lyrik der Gegenwart“, organisiert den Feldkircher Lyrikpreis
Veröffentlichungen u. a. „Endlich alles richtig“, „Der Königin der Poesie. Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag“ (Hg.), „Nora.X.“, „Viktor“, „Mona Liza“, „Sarah und die Wolke“, „Decodierung der Dekaden“, „Einen Herzschlag nur bist du entfernt“, „La Laguna“, „Kuckucksnest
Die Aufforderung zum Selbstschreiben ist eine Kooperation der Vorarlberger Nachrichten mit Literatur Vorarlberg und dem Theater am Saumarkt in Feldkirch.