Schuld und Unschuld als zentrale Fragen

Bogners Abgang
Hans Platzgumer
Zsolnay
142 Seiten
Hans Platzgumer lässt seinen Protagonisten keine Chance, und Rebekka Kriecheldorf bleibt lieber wild als brav.
Romane In Innsbruck wird ein Mann überfahren. Er kommt auf die Intensivstation und stirbt an den Folgen. Der Autofahrer hat Fahrerflucht begangen, die Zeugenaussagen führen in falsche Richtungen. Das private Umfeld des Opfers kann in der Tätersuche ausgeschlossen werden. Mehr soll in diesem Fall nicht verraten werden, will man den neuen Roman von Hans Platzgumer, „Bogners Abgang“, nicht spoilern.
Der Roman selbst liest sich kurzweilig. In kleinen Episoden tastet sich der Vorarlberger Autor an das Ereignis heran, doch ist eigentlich nicht der Unfall mit tödlichem Ausgang das Wesen des Romans. Dieses ist in Andreas Bogner beheimatet, einem Innsbrucker Maler, der alles Erdenkliche versucht, Anerkennung für sein Schaffen zu bekommen und eigentlich an allem scheitert, auch an seinem Privatleben. An sich ein postmoderner Charakter, der mit seinem Leben nicht zurechtkommt und sich im Grunde unverstanden fühlt. Diese fehlgeschlagene Kommunikation gipfelt in der Teilnahme an einem Kunst-am-Bau Wettbewerb, für die neu zu gestaltende Sparkassenpassage.
Notorischer Einzelgänger
Bogner schafft es in die Endausscheidung, doch wird er mit seiner zeitkritischen Installation, die die Migrationsproblematik als zentrales Thema hat, ins rechtskonservative Eck gestellt. Natürlich gehört er dem Lager nicht an, obgleich ihn die Linksliberalen auch nerven. Bogner ist ein grantiger Einzelgänger, kinderlos, zwar verheiratet, aber eben auch nicht glücklich. Sein Erbe macht ihn unabhängig, aber auch nicht zufriedener. Die finanzielle Unabhängigkeit lässt ihn kompromisslos erscheinen und ermöglicht ihm einen unabhängigen Blick, nur macht ihn das nicht automatisch zu einem anerkannten Künstler. Ein neuer Zyklus soll ihm jedoch die eingeforderte Anerkennung bringen.
Zwei weitere Positionen machen den Roman zur spannenden Lektüre. Die der Lehramtsstudentin Nicola Pammer und des Kritikers und Kurators Kurt Niederer. Die Vorarlberger Studentin fühlt sich im hektischen Innsbruck überhaupt nicht wohl und ist jede freie Minute in ihrer Heimat. Der Kunstkritiker zog sich gekränkt von Wien nach Innsbruck zurück, weil er bei einer beruflichen Nachbesetzung nicht gebührend berücksichtigt wurde. Fast bis zum Schluss bleibt die Frage offen, wie die drei zueinander in Verbindung stehen. Ungewollt lebt der Roman auch von einer gewissen Unschuld. Er spielt im Jahr 2018 und zuvor, man weiß noch nichts von Covid-19, den Tragödien und den nervenaufreibenden Dingen, mit denen sich jeder herumschlagen muss. Die Frage, ob sich die handelnden Personen angesichts der heutigen Probleme anders verhalten würden, ist hypothetisch, Platzgumer hat jedoch eine ausgezeichnete Kenntnis vom Innenleben seiner Figuren und führt alles zu einem spektakulär unspektakulären Ende.
Unbarmherzig
In den 1990er-Jahren in Berlin spielt Rebekka Kriecheldorfs Roman „Lustprinzip“. Es ist das Porträt einer Stadt und eines Lebensgefühls am Beispiel von jungen Menschen aus der Hausbesetzerszene, die sich immer wieder treffen, um das Leben der langsam verebbenden Bohème zu zelebrieren. Die Protagonistin ist Larissa. Stellvertretend für alle anderen befindet sie sich auf einem Selbsterkenntnistrip und stellt sich immer wieder die Frage: Wild bleiben oder brav werden? Ein Mittelding scheint unmöglich. Das Leben kann unbarmherzig sein.

Lustprinzip
Rebekka Kriecheldorf
Rowohlt
237 Seiten