“Eklatante Ungleichheit der Verteilung gefährdet die Stabilität”

Kultur / 06.05.2021 • 22:12 Uhr
Das Stück „Kind.Erbe.Reich“ ist eine neue Produktion des Ensemble dieheroldfliri, das nun zur Aufführung gebracht werden kann. stark
Das Stück „Kind.Erbe.Reich“ ist eine neue Produktion des Ensemble dieheroldfliri, das nun zur Aufführung gebracht werden kann. stark

Es geht beim Erben auch um mehr Solidarität und soziale Verantwortung.

Feldkirch Das Corona-Virus hat eine mehrmalige Verschiebung der Vorarlberg-Premiere bedingt. Nun ist sie da: „Kind.Erbe.Reich“

 

Erben ist zeitlos. Was hat es für Sie gerade jetzt zum Thema gemacht?

Herold Zum einen ist es die Erbschaftswelle in den Industrieländern. Absurd hohe Summen werden vererbt. In Österreich sind es etwa 20 Milliarden pro Jahr, in Deutschland bis zu 400 Milliarden, die sich auf wenige Menschen kumulieren und dazu beitragen, dass die Vermögensungleichheit zunimmt. Es stellt sich die Frage, warum nicht steuernd eingegriffen wird, zugunsten einer größeren Chancengerechtigkeit. Ein weiterer Impuls war die Tatsache, dass wir uns häufig den Anliegen einer Minderheit gewidmet haben, um zu sensibilisieren.

 

Wie hat sich die Recherchearbeit zu diesem Projekt gestaltet?

Fliri Zunächst hat Barbara Herold mehrere Interviews mit Menschen geführt, die geerbt haben und sich dieses Privilegs durchaus bewusst sind. Das Material wird verdichtet und den Interviewpartnern auch vorgelegt. Ein sehr spannendes Buch war z.B. „Wir erben“ von Julia Friedrichs, die intensiv über die Erbschaftswelle in Deutschland recherchiert hat. Zudem gibt es unzählige Berichte und aus all diesem Material gilt es zu filtern, was für die Bühne spannend sein könnte. Das fertige Stück ist erstmal eine Arbeitsgrundlage.

 

Man erbt nicht nur Böden, sagt man in Vorarlberg. Sind wir also viel mehr Erben einer Geschichte, einer gemeinsamen Erzählung? Und sind wir dieser Geschichte verpflichtet?

Fliri Man vererbt ja nicht nur materielle Dinge, sondern auch Wissen, Erfahrungen – eben auch Geschichte. Unweigerlich übertragen sich diese immateriellen Werte auch auf die nächste Generation, und sich dessen bewusst zu sein, zu reflektieren, was ich weitergeben möchte, wäre wohl wünschenswert. Immaterielles Kulturerbe geht ins kollektive Bewusstsein über.

 

Erben im biblischen Sinn hat sehr oft mit Verheißung, mit Erhofftem zu tun. Warum ist die Schwester dieses Erhofften oft die Enttäuschung?

Herold Es ist tatsächlich verblüffend, dass ausgerechnet ein Geschenk in Familien so häufig Schmerz und jahrelange Konflikte hervorruft. Wenn der Erbfall eintritt, befinden sich alle in einer sensiblen Situation, in der Verwundungen schneller greifen. Und die größten Kränkungen finden statt, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Die Hinterlassenschaft ist für viele gleichbedeutend mit der letzten Verteilung der Liebe, die in materieller Form sichtbar wird. Das Erbrecht in deutschsprachigen Ländern hat sich fast unangetastet aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart gerettet und bevorzugt die Ehe und die blutsverwandtschaftliche Sippe. Es gibt Positionen, die hinterfragen, ob es noch zeitgemäß ist, dass nur die Familie das Erbrecht bestimmt.

 

Ist Erben in dem Sinn eine Gabe, weil jemand gibt und jemand bekommt?

Fliri Nur weil eine Person die Möglichkeit zu geben hat, liegt es immer noch in ihrer Hand, sich dieser Gabe verpflichtet zu fühlen – oder eben nicht. Im Zuge der Arbeit kamen wir nicht umhin, uns auch mit der Legende des Hl. Martin zu beschäftigen, mit dessen Geschichte man Kindern versucht den Begriff des Teilens zu vermitteln. Spannend war es, die Erinnerungen an Laternenfeste, Lieder und Umzüge auszutauschen, und vor allem zu reflektieren, was man als Kind damit assoziiert hat. Wir sich auch auf viele spannende Biografien gestoßen, die mittels Philanthropie mit dieser Gabe umzugehen wissen und ihre Verantwortung wahrnehmen.

 

Verpflichtet Erbe?

Herold Ich denke schon. Denn es ist Zufall und Glück, in die richtige Familie hineingeboren worden zu sein. Erben ist leistungsloses Einkommen und sich die Frage nach der Verantwortung zu stellen, finde ich wichtig. Diese Selbstverpflichtung müsste gar nicht sein, wenn der demokratische Staat regulierend eingreifen würde. Solange Arbeit besteuert wird, muss Erben auch besteuert werden. Aber natürlich hört man Gegenargumente, die im Stück auch thematisiert werden.

 

Erben führt dazu, dass sich die Finanzkraft in immer weniger Händen konzentriert. Wird das Erben zu einer gesellschaftlichen Aufgabe?

Herold Das ist unser Hauptansatz. Die vielzitierte Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf und die Erbschaftswelle hat ihren Anteil daran. Die eklatante Ungleichheit der Verteilung gefährdet die Stabilität einer Gesellschaft. Wie lange kann das noch gutgehen, wenn die große Mehrheit keine Chance mehr hat, aufzusteigen, sich keine Eigentumswohnung erarbeiten kann, weil die Immobilienpreise durch die Decke gehen und man eben keinen Boden erbt. Wir sind überzeugt, dass von einer gerechteren Gesellschaft alle profitieren, auch diejenigen, die vermögend sind. Es ist höchste Zeit, dass sich etwas ändert. vf

Aufführungen von “Kind.Erbe.Reich” im Alten Hallenbad in Feldkirch am Donnerstag, 13. Mai, 17 Uhr, sowie am 15., 16., 18., 19. und 20. Mai: dieheroldfliri.at