Wichtig ist, was nicht in den Noten steht

Im Spannungsfeld zwischen Alter Musik und Jazz hat Herbert Walser-Breuß bereits 90 CDs eingespielt.
FELDKIRCH Ein Leben mit der Trompete, voll Leidenschaft, aber wortkarg. Herbert Walser-Breuß lässt lieber seine Instrumentenfamilie mit 60 Exemplaren für sich sprechen, die Barocktrompete im Concentus Musicus und bei Concerto Stella Matutina, die Jazztrompete in aktuellen Ensembles.
Sie überbrücken brillant eine enorme Spannweite zwischen Alter Musik und Jazz – mit welcher Einstellung?
WALSER Es bereitet mir seit jeher große Freude, die Ränder des Trompetenrepertoires zu beackern, die Mitte wird ja ohnehin ausreichend bedient. Die interpretatorische und oft auch improvisatorische Freiheit in der Alten Musik ist durchaus mit Jazz vergleichbar. Das Interessante ist, was nicht in den Noten steht – da ist viel Fantasie gefordert, wie im Programm „Nuove Invenzioni“ des Lautenisten Rolf Lislevand. Für diese CD wurde das Concerto mit einem „Opus Klassik“ ausgezeichnet.
Haben Sie von Anfang an diese Doppelgleisigkeit angestrebt?
WALSER Nein, meine ersten Erfahrungen wurzeln in der Blasmusik. Erst ein Bläserseminar mit Lothar Hilbrand und seinem Blechbläserensemble Laurentius von Schnifis in den 80er-Jahren hat dann bei mir eine drastische Horizonterweiterung ausgelöst. Mit ihm gab es bald auch Versuche mit der Barocktrompete, später auch Jazzworkshops mit dem grandiosen Flötisten Günter Wehinger.
Dazu wurde dann auch Ihr Instrumentarium zu einer umfangreichen Sammlung erweitert?
WALSER In meinem Musikzimmer befinden sich vielleicht 60 Instrumente, darunter ein F/Es-Helikon, eine F-Tuba, drei Posaunen, zwei Euphonien, zwei Althörner, ein Barockhorn, etwa fünf Barocktrompeten, Zinken, alle Arten historischer Trompeten und natürlich das gesamte „moderne“ Instrumentarium in mehrfacher Version mit B-, C-, Es- und Piccolo-Trompeten, Flügelhörner, Kornette, Posthörner . . . Da ist auch viel Trash dabei, einiges an Perkussion, zwei Megafone, unzählige electronic gadgets – alles, was ein Haushalt so braucht.
Welchen Stellenwert hat für Sie das Unterrichten?
WALSER Ich unterrichte seit nunmehr 26 Jahren hauptsächlich am Landeskonservatorium und geringfügig am Gymnasium Schillerstraße. Diese Unterrichtssituation ist ein unendlich großes und äußerst spannendes Lern- und Betätigungsfeld, das ich als ganz großes Privileg betrachte. Ich unterrichte meist in Präsenz als Einzelunterricht, habe aber natürlich auch Gruppenunterricht im Distance-Learning-Modus: die Auseinandersetzung mit Aufnahmetools, das Anfertigen klassischer Play-alongs, wenn es im Lockdown keine Korrepetition gibt oder auch Samuel Scheidts „Canzon Cornetto“ im Mehrspuraufnahmeverfahren als Ein-Mann-Kapelle. Das kann großen Spaß machen.
Mit welchen Ihrer Jazz-Besetzungen spielen Sie besonders gern?
WALSER Das zunehmende Alter bringt ja auch Vorteile: Man spielt nur noch Projekte, die einem ein Herzensanliegen sind. Mir liegt vor allem das Lyrisch-Melancholische. Langsamkeit und Reduktion auf das Wesentliche werden immer wichtiger – großartig besetzte Ensembles wie MOSE, das Laterne-Quartett oder die Toni-Eberle-Band schaffen ideale Rahmenbedingungen.
Welche Erinnerungen haben Sie an Nikolaus Harnoncourt, in dessen Concentus Musicus Sie bis heute mitwirken?
WALSER Mein Unterricht zehrt hoffentlich noch lange von den unzähligen Sprachbildern, die Harnoncourt in seiner Probenarbeit nicht nur bei mir implementiert hat. Seine Appelle, die musischen Fächer nicht zugunsten zweckorientierter Fachgegenstände zu opfern, höre ich sonst leider von niemandem. Seine Beharrlichkeit und Konsequenz, immer getragen von großem Sachwissen, seine Fantasie, seinen Witz und seine tiefe Menschlichkeit – das alles vermisse ich seit seinem Tod vor fünf Jahren sehr.
Ein besonderer Schwerpunkt für Sie ist heute das heimische Barockorchester Concerto Stella Matutina, das Sie 2005 mitbegründet haben.
WALSER Da ist etwas Großartiges entstanden, um Harnoncourt zu zitieren: eine „Entdeckergemeinschaft“ unter Einbeziehung der über 500 Abonnenten. Da ist vor allem Bernhard Lampert zu bewundern – unglaublich, wie er das alles immer wieder zusammenführt. Nach 16 Jahren kommen auch besondere Qualitäten der Musiker deutlicher zum Vorschein. Es gibt ensembleintern Spezialisten wie Lucas Schurig-Breuß, der als Dramaturg geniale Programmhefte zaubert, mit Thomas Platzgummer einen Programmplaner, Moderator und Dirigenten, der auf Abruf Beethoven-Sinfonien übernehmen kann, mit Johannes Hämmerle einen famosen Generalbassspieler, der in den Probenpausen den weltbesten Espresso serviert.
Sie selbst sind dort neben den heiklen hohen Tönen im Trompetenregister auch für das Projekt „Pavel, der Feldtrompeter“ zuständig. Worum geht es da?
WALSER Pavel Vejvanovsky (1640-1693) war Trompeter, Komponist und Kapellmeister, aber auch Kopist. Seine Handschrift dominiert im Archiv von Kremsier. Seine Kompositionen sind teils konventionell, teils geradezu bizarr, reich an überraschenden harmonischen Wendungen und Einfällen, aber oft auch tief verwurzelt in böhmischer Volksmusik. Dass wir aus Coronagründen dieses Programm fünfmal spielen müssen, damit alle Abonnenten es hören können, ist vor allem konditionell eine große Herausforderung.
Zur Person
HERBERT WALSER-BREUSS
GEBOREN 1967 in Dornbirn, lebt in Feldkirch
AUSBILDUNG Trompete am Landeskonservatorium Feldkirch und Mozarteum Salzburg, Studien in Musik, Mathematik und Pädagogik
TÄTIGKEIT Dozent am Landeskonservatorium, Musiklehrer am Gymnasium Schillerstraße Feldkirch; im Concentus Musicus, bei Concerto Stella Matutina, weiters bei internationalen Ensembles und verschiedenen Formationen im Jazzbereich
AUSZEICHNUNGEN 2007 Ö1 Artist of the Year, Ehrengabe für Kunst des Landes Vorarlberg
FAMILIE verheiratet, drei Kinder
Konzerttermine in Götzis, Bühne Ambach: 12. Mai, 18 Uhr, 13. Mai, 11 und 18 Uhr, 14. Mai, 16 und 18 Uhr: stellamatutina.at