Kräftemessen an Bruckners „Sechster“

Der neue Chef Leo McFall liefert am Pult seines SOV ein gelungenes Dirigentendebüt.
FELDKIRCH Auch nach ihrem gefühlten Ende zeigte die Pandemie Nachwirkungen. Allein die Feststellung „Zum Saisonabschluss das erste Abo-Konzert“ im Pressetext zeigt doch den ganzen Jammer dieser durch Corona total verkorksten, oft auch von den Behörden allzu kurzsichtig behinderten Saison 20/21 des Symphonieorchesters Vorarlberg. Auch dem neuen Chefdirigenten Leo McFall, der seit fast einem Jahr darauf brennt, am Pult der großen Besetzung seines Orchesters zu debütieren, wurde erst nach Interventionen die Einreise aus dem Risikogebiet Großbritannien gestattet und die Quarantäne erlassen. Das Orchester selbst spielte das kräfteraubende Programm mit Bruckners „Sechster“ als Hauptwerk vor je 600 erlaubten Besuchern im Montforthaus gleich vier Mal quasi als Bruckner-Marathon.
Als McFall (39) am Freitag in seiner forschen Jugendlichkeit das Podium betritt und es wirklich wieder losgeht mit der Musik, scheinen zunächst alle Hindernisse außer den Masken vergessen. Optimismus herrscht vor, was jetzt alles wieder möglich sein wird. Da ist für gläubige Menschen wohl ein Dankgebet angebracht, wie man es als Auftakt angesetzt hat. „Les offrandes oubliées“ („Die vergessenen Opfergaben“) ist eine vom starken Glauben des Komponisten Olivier Messiaen geprägte Programmmusik, die religiöse Symbolik in drei starken Bildern thematisiert. Der Kreuzestod Christi wird zur Klage der Streicher, die Sünde zum präzise exekutierten Furioso, die Eucharistie erhält den Heiligenschein zur Unendlichkeit des Seins. Die Musiker und ihr Dirigent erfassen sofort den Geist, die schillernde Zwielichtigkeit und tiefe Spiritualität dieser Musik, die manchen im Publikum als Eröffnung wohl als zu „modern“ vorgekommen sein mag.
Gute Programmidee
Seinen Mahler kennt das SOV inzwischen in- und auswendig, so intensiv wie Weltmeister Kirill Petrenko es seit Jahren auf diese Musik eingeschworen hat und den Zyklus im Oktober mit der „Neunten“ finalisieren wird. Dass nun quasi als Fortsetzung bereits zuvor ein Schwerpunkt mit Bruckner-Symphonien gestartet wird, ist eine gute Programmidee, weil dessen Werke in der Vergangenheit beim SOV recht stiefmütterlich behandelt wurden und weil der neue Chef schon länger sein Naheverhältnis dazu offenbart hat. Und es ist klug, dass man als Testimonial keinen der „Hämmer“, wie die „Siebte“ oder „Achte“, an den Beginn stellte und damit sein Pulver gleich verschossen hat, sondern Bruckners unbekannteste Symphonie Nr. 6 in A-Dur, die an diesem Abend wie eine seltene Pflanze in rasch wechselnden Gesichtern, Farben und Stimmungen zum Erblühen gebracht wird.
Zuvor gilt es allerdings noch einige Hürden zu überwinden: die Premieren-Nervosität etwa nach der langen Zwangspause im Orchesterbetrieb, die Eingewöhnung an den neuen Dirigenten und an die frustrierende Atmosphäre eines halbleeren Saales. Und so will der erste Satz in kleinen Abstimmungsproblemen, Unsauberkeiten und vorsichtiger Zurückhaltung denn auch nicht gleich in die Gänge kommen. Doch dafür steht der überlegen agierende Leo McFall, der mit seinem eleganten, klaren Dirigat Sicherheit vermittelt. Der auch das Himmelstürmende dieser Symphonie vorsichtig anpeilt und erst nach und nach zum Baumeister der großartigen Architektur des Werkes wird – mit seinem ausladenden Klangkosmos, den Bruckners Zeitgenossen als „symphonische Riesenschlangen“ verspottet haben.
Gewaltiges Finale
Das mit 80 Musikern groß besetzte Orchester bringt dazu neben wunderbaren Klangschattierungen und dynamischen Feinheiten auch das nötige Durchhaltevermögen für das fast einstündige Werk ein. Im zentralen zweiten Satz ist alles längst auf Schiene, die satte Streichergruppe unter Anleitung des noblen Konzertmeisters Pawel Zalejski versinkt fast vor Intensität in Bruckners weit ausgebreitetem Klangbad. Der Engländer McFall aber fühlt sich durch das Majestätische dieser Musik wohl an Royales seiner Heimat erinnert und nimmt Haltung an. Das leichtfüßige Scherzo gehört den Bläsern: dem übermütigen Holz, der Hörnergruppe mit sicheren Jagdrufen.
Dann endlich kulminiert das Ganze mit dem Blech im Unisono zum gewaltigen Finale, das in seiner Vielschichtigkeit nochmals alle Kräfte herausfordert. Ein gelungenes Dirigentendebüt. Und: Bruckner darf bleiben.
Orchesterkonzert des SOV bei den Bregenzer Festspielen: 22. August, 11 Uhr, Festspielhaus, Dirigent Leo McFall (Beethoven, Haydn, Larcher)