Geht nicht so richtig unter die Haut

Kultur / 22.06.2021 • 18:13 Uhr
Es geht um Gewalt, um Unterdrückung der Frau samt Zwangsverheiratung und um einen moralisch zwielichtigen Geistlichen. Herwig Prammer
Es geht um Gewalt, um Unterdrückung der Frau samt Zwangsverheiratung und um einen moralisch zwielichtigen Geistlichen. Herwig Prammer

Donizettis tragischer Dreiakter “Lucia di Lammermoor” in Zürich und auf ARTE.

ZÜRICH Lucia und Edgardo lieben sich, stammen aber aus verfeindeten Adelsfamilien und werden erst im Tode vereint. Die düstere Handlung von Donizettis 1835 uraufgeführter Oper „Lucia di Lammermoor“ nach einer Romanvorlage von Walter Scott spielt vor dem Hintergrund der Fehden zwischen Katholiken und Protestanten im Schottland des ausgehenden 16. Jahrhunderts und führt Themen vor, die noch heute brisant sind. So geht es um Gewalt in großen Zusammenhängen und im Privaten, um Unterdrückung der Frau samt Zwangsverheiratung und um einen moralisch zwielichtigen Geistlichen.

Solches präpariert zwar die Regisseurin Tatjana Gürbaca in ihrer Neuinszenierung des Werkes am Opernhaus Zürich durchaus heraus. Nur: So richtig unter die Haut geht das nicht. Immer wieder agieren Menschengruppen auf der Bühne, die die heruntergekommenen Verhältnisse körpersprachlich zum Ausdruck bringen sollen. In pittoreske Gewänder gehüllte Leiber (Kostüme: Silke Willrett) verbiegen sich, fuchteln mit Waffen herum, kopulieren: Diese Gruppenchoreografien drohen sich zum Dekorativen hin zu entschärfen. Ferner hat Gürbaca ein Element aus der Vorgeschichte, nämlich dass Edgardo einst Lucia vor einem Stier rettete, zu einer traumatischen Erfahrung weitergedacht. Während des Orchestervorspiels eingeführt, zieht sich diese Idee dann, etwas gewollt, leitmotivisch durch den Abend, und natürlich werden auch Kinderstatisten bemüht. Man kennt das ja.

Mit Glasharmonika

Wahrlich keine Augenweide ist das Bühnenbild von Klaus Grünberg. Nicht, dass man mit einem schauerromantischen Kitsch-Ambiente hätte bedient werden wollen, aber die symbolisch angereicherte Landschaft aus Wänden auf der Drehbühne, changierend zwischen außen und innen, wirkt halt doch allzu abweisend.

Auch singdarstellerisch bleiben Wünsche offen. Irina Lungu in der Titelrolle verdient vollen Respekt für diese belcantistische Parforce-Tour samt der hochberühmten Wahnsinnsarie im Schlussakt – die unglückliche Lucia ersticht den ihr aufgezwungenen Bräutigam – und bietet auch mehr als bloße Gurgelkünste. Es fehlte an der Premiere aber doch ein Quäntchen an emotionaler Glut. Piotr Beczala ist gewiss ein starker Tenor, singt den Edgardo aber, wenn er nicht duettiert, oft zu druckreich und mit ziemlich penetrant schmachtenden Portamenti. Massimo Cavalletti als Lucias manipulativ-intriganter Bruder Enrico produzierte am Premierenabend überforcierte Forti im ersten Akt, besserte sich aber danach. Als stimmlich schwach zeigt sich Oleg Tsibulko, der den Geistlichen und Erzieher Raimondo gibt.

Die Klänge der Philharmonia Zürich, die, wie jene des von Janko Kastelic ordentlich einstudierten Chores, für die derzeit 100 zugelassenen maskierten Zuschauer per Glasfaserkabel vom Probenraum ins Opernhaus sausen, koordiniert die Dirigentin Speranza Scappucci mit Sinn für kantablen Zauber und rhythmische Pulsierung. Und farblich sehr hörenswert: die für die Wahnsinnsarie eingesetzte Glasharmonika, die Donizetti statt einer Flöte eigentlich auch vorgesehen hatte.

In dieser Saison noch am 24., 26. und 30. Juni. Arte Concert wird die Produktion digital streamen und im Spätsommer im TV ausstrahlen. Infos unter www.opernhaus.ch