Rotlicht und Zwielicht

Kultur / 15.08.2021 • 10:00 Uhr
Rotlicht und Zwielicht
Bettina Bohne setzt mit „Grenzverkehr“ einen Denkanstoß. Bohne

Bettina Bohne schenkt Koblach ein Stundenzimmer.

Koblach Die drei dünnsten Bücher der Welt sind, frei nach Groucho Marx, „Die Mysterien der britischen Küche“, „Der Almanach der italienischen Heldensagen“ und „Der Vorarlberger Bordellführer“.

Der „ZollArt“-Schauraum wurde von Künstlerin Bettina Bohne zum Stundenzimmer umfunktiniert.<span class="copyright">Bohne</span>
Der „ZollArt“-Schauraum wurde von Künstlerin Bettina Bohne zum Stundenzimmer umfunktiniert.Bohne

Grüaß di Gott mi subers Ländle. Die Berge und das Seeufer kann man ja kollektiv reinigen, die Moral ist jedoch scheuerresistent. Da hilft vielleicht ein Blick in das Vorarlberger Sittenpolizeigesetz, Stand August 2021. Dies ist gleichsam ein Blick zurück wie nach vorne und hilft eventuell zu verstehen, warum es in Vorarlberg mit käuflicher Liebe eher klamm aussieht. Unter Paragraf 6 (die Wahl der Zahl darf zweifelsohne als unfreiwillig ironisch gesehen werden), welcher sich für die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bordellbewilligung verantwortlich zeichnet, sind folgende Zeilen zu finden: „Das Gebäude darf nicht in einem mit Wohngebäuden dicht bebauten Gebiet oder in der Nähe von Kirchen, Friedhöfen, Krankenanstalten, Schulen, Kindergärten, Kinder- und Jugendspielplätzen, Jugendheimen u.dgl. liegen. Es muss Gewähr bestehen, dass durch den Betrieb des Bordells die Nachbarschaft nicht unzumutbar belästigt wird oder sonstige öffentliche Interessen, insbesondere solche der Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der Gesundheit, des Jugendschutzes und des Fremdenverkehrs, nicht verletzt werden.“ Unter diesen Voraussetzungen wird das älteste Gewerbe der Welt wohl irgendwann mal das jüngste angemeldete Gewerbe Vorarlbergs. Doch das ist Zukunfts­zwölftonmusik.

Fünf-Sterne-Bewertung

Wie die aktuelle Version des Sittenpolizeigesetzes befinden wir uns im August 2021 und die Google-Suche nach „Bordell Vorarlberg“ ergibt 6.490.000 Treffer. Eine der wenigen relevanten Informationen dieser Suche: Der letzte vergebliche Versuch einer Bordelleröffnung liegt knapp zehn Jahre zurück. Offensichtlicher jedoch ist, dass im Browserfenster Etablissements mit Fünf-Sterne-Bewertung in der grenznahen Schweiz beworben werden. Über eine Brücke muss Mann gehen. Doch nicht nur diese Option besteht, ist es doch gemeinhin bekannt, dass sich, sobald Verbote erteilt werden, die Illegalität im unkontrollierbaren Untergrund abspielt, in diesem Fall im sogenannten Milieu.

Bettina Bohne (46) setzt sich künstlerisch mit diesem Spannungsfeld auseinander. Aufgabe der Kunst ist es ja vordringlich, den Finger auf Wunden zu legen, die gesellschaftlich im Schatten liegenden Themen ans Licht zu zerren, in diesem Fall ins rote. Als sich ihr die Chance ergab, den Schauraum „ZollArt“ am Koblacher Rheinufer an der Grenze zum Schweizer Ort Montlingen zu bespielen, war ihr schnell klar, dass sie keine Schwemmholz-Skulpturen in den Raum stellen wird. „Ich beschäftige mich viel mit den Archetypen der Frau. Hexe und Heilige habe ich bereits in der Vergangenheit verarbeitet, jetzt ist die Hure an der Reihe“, erklärt Bohne ihre Entscheidung, das ehemalige Zollamt in ein sogenanntes Stundenzimmer umfunktioniert zu haben. „Grenzverkehr“ nennt sich ihre Installation. Würden abgehalfterte Wortspiele stinken, dann würde dieser Geruch hier gen Himmel reichen. Aber das ist pure Absicht der in Dornbirn lebenden Künstlerin. „Natürlich spiele ich mit Klischees. Mein Ziel ist es, die Metaebene so zu verpacken, damit sich für den Betrachter individuelle Zugänge ergeben.“

Vom Luder bis zur Edelhure

Für Bohne hat der Begriff Hure ein Doppelmandat. „Die Bandbreite der Schlagwörter, die man bei diesem Thema zu hören bekommt, reichen von Verboten, Tabu, Unheilig, Luder bis hin zu Edelhure und Escort-Girl. Daran sieht man auch die Spannweite von Unterdrückung und Kriminalität bis hin zur Selbstbestimmung der Frau. Durch die Illegalität des Gewerbes in Vorarlberg werden Frauen in eine Opferrolle gezwungen, wird der Menschenhandel forciert, die Selbstbestimmung unterdrückt,“ so Bohne. „Zudem ist es den gesellschaftlichen Strukturen geschuldet, dass Frauen, für die das Leben sowieso teurer ist als für Männer – man siehe sich da nur schon niederschwellig die Preise beim Frisör an – einfach weniger verdienen.“ Bohne kennt sich aus, hat sie doch eine Vergangenheit in der Sozialarbeit, bevor sie über Playing Arts ihren Weg zu ihrer jetzigen Tätigkeit als interdisziplinäre Künstlerin fand. Das erklärt auch ihren intuitiven Zugang zu einer so vielschichtigen Thematik wie Prostitution.

Grenzenlos

Den „ZollArt“-Schauraum hat sie nach ihrem eignen Geschmack eingerichtet. Ausladendes Mobiliar (Bett, Nachtkästchen), ein Bild an der Wand, im Erker sitzt eine an eindeutigen Stellen mit Geldscheinen drapierte Schaufensterpuppe. Ledermaske, Fesseln und Reizwäsche gehören ebenfalls zum Inventar. Der Fantasie sind schließlich keine Grenzen gesetzt. Von 22 bis 1 Uhr wird der Raum standesgemäß in Rotlicht gehüllt, dazu dreht auch eine kleine Discokugel ihre Kreise. Klar ist: Diesen ganzen Themenkomplex in einen Raum zu packen, ist ein beinahe unmögliches Unterfangen. Bohne gelingt es, zumindest einen Denkanstoß zu setzen. „Mich amüsiert allein der Gedanke, dass jemand vorbeigeht und sich denkt: Ah, schön, da hat endlich ein Bordell aufgemacht.“ Nur blöd, dass gleich ums Eck der Kegelverein Koblach residiert, in dessen Vereinslokal wird dann gleich im Sittenpolizeigesetz geblättert.

„Grenzverkehr“ ist noch bis zum 25. 9. im „ZollArt“, Falle 10, Koblach, zu sehen. www.kunstvorarlberg.at/schauraum-zollart