Schubertiade: Eine mit Spannung erwartete Fortsetzung

Der erfolgreiche Bariton Andrè Schuen brachte bei der Schubertiade nun die “Winterreise” zu Gehör.
Schwarzenberg Nachdem der Südtiroler Bariton Andrè Schuen, derzeit einer der gefragtesten Opern- und Liedsänger, bei der diesjährigen Schubertiade bereits die „Schöne Müllerin“ hinreißend zu Gehör gebracht hatte, durfte man auf die Fortsetzung gespannt sein. Die „Winterreise“ hat einen ganz anderen Charakter: es gibt keinen rechten Handlungsfaden, der Wanderer ist ein hoffnungsloser Ausgestoßener, dessen innere Stimmung der kahlen und kalten Winterlandschaft entspricht und der immer mehr in Verzweiflung versinkt. Nicht nur ein existentielles Drama, sondern auch politische Anspielungen an das Metternich-Regime hat etwa Ian Bostridge darin geortet.
Eher metallisch als weich
Andrè Schuens Erscheinung mit dunklem Bart und einer Art Samurai-Frisur unterstreicht das Düstere und etwas Exzentrische dieser Figur. Er hat alles, was ein exzellenter Liedsänger braucht: ein schönes Organ mit einer Vielzahl dynamischer Möglichkeiten, perfekte Textverständlichkeit und die Fähigkeit, sich intensiv in den Gefühlskosmos der dargestellten Figur zu versenken. Umso interessanter die Frage, wie er diese Figur des winterlichen Wanderers anlegt. Sein Bariton hat vor allem in den tiefen Registern eine ausgesprochen virile, herrische Note und klingt eher metallisch als weich.
Schon das einleitende „Fremd bin ich eingezogen“ wirkt bei ihm trostlos, die Zeile „an Dich hab‘ ich gedacht“ fast ungläubig, nicht als schöne Erinnerung. „Die Wetterfahne“ singt er aggressiv, die Zeile „Ich will den Boden küssen“ in „Erstarrung“ in wütender, wilder Verzweiflung. Selbst im „Lindenbaum“, sonst einer Art von emotionalem Ruhepunkt, verströmt er kalte Verzweiflung. Das Bedrohliche und Wilde in dieser Figur ist eine Komponente, die Schuen herausarbeitet, das Verstörte und Verstörende eine andere: so artikuliert er z. B. in „Auf dem Flusse“ bei „kalt und unbeweglich“ ein geradezu gespenstisch behauchtes U.
Bewundernswerte Plastizität
Umso ergreifender wirken die wenigen Momente, in denen er den lyrischen Seiten Raum gibt, etwa wenn in „Frühlingtraum“ das „Wann halt‘ ich mein Liebchen im Arm“ herzzerreißend klingt. Wenn der Sänger mehr das Schroffe und die Verzweiflung dieser Figur herausarbeitet, so kommen die elegischen, warmen Elemente der Partitur viel eher in der Klavierbegleitung zum Ausdruck, die Daniel Heide mit bewundernswerter Plastizität und dynamischer Differenzierung gestaltet. Um in Bildern zu sprechen: Die Interpretation war nicht zum Weinen schön, aber sie ließ einem das Blut in den Adern gefrieren. Lange Stille, langer, starker Applaus. Ulrike Längle