Herr Sockisch und Herr Zwockisch

Kultur / 03.09.2021 • 17:59 Uhr
Herr Sockisch und Herr Zwockisch

Weißt du, Herr Sockisch, da unsere beiden Herren gerade in der Sauna sind, wollte ich dich fragen, wie es dir in Diensten deines Herrn so geht.

Ach Herr Zwockisch, frag mich etwas Einfacheres. Was soll ich groß erzählen? Meistens ist nicht viel los bei uns, ich komme manchmal den ganzen Tag aus dem Schuh nicht raus. Zum Glück habe ich nach solchen Tagen ein paar Tage frei.

Was machst du an deinen freien Tagen?

Hm, meistens ist nicht viel los in der Wäschekammer. Wir liegen auf der faulen Haut und erzählen einander Gruselgeschichten.

Ich liebe Gruselgeschichten! Bitte erzähl‘ mir eine!

Aber was machen wir, wenn unsere Herren aus der Sauna kommen?

Wir stellen uns blöd wie immer.

Auch gut. Zum Glück bist Du eine kluge Socke, Herr Zwockisch.

Und zum Glück hast du eine Geschichte auf Lager, Herr Sockisch.

Also dann, es geht los!

Halt Herr Sockisch!

Was ist denn, Herr Zwockisch?

Was mache ich, wenn ich mich fürchte? Ich meine, vielleicht ist deine Geschichte zu gruselig für mich?

Wenn du dich fürchtest, dann sag es mir, dann erzähle ich dir eine weniger gruselige Geschichte.

Wirklich, das würdest du für mich tun?

Klaro Herr Zwockisch, wir sind doch Freunde.

Du bist ein echter Freund, Herr Sockisch, ich bin dir wirklich dankbar.

Also wo war ich stehengeblieben? Ach ja, also es geht los!

Halt Herr Sockisch! Nur eine kleine Frage: was ist, wenn deine Geschichte kein gutes Ende hat? Das solltest du mir vorher sagen, damit ich mich darauf einstellen kann.

Wie willst du dich darauf einstellen, Herr Zwockisch?

Ich höre dann einfach nur halb zu.

Ach so einer bist du, Herr Zwockisch, ein Halb-Zuhörer!

Wenn es sein muss, Herr Sockisch.

Auch gut, Herr Zwockisch, also los geht’s.

Halt Herr Sockisch! Geht die Geschichte jetzt gut aus oder nicht?

Ach Herr Zwockisch, mach dir keine Sorgen, die Geschichte geht bestimmt gut aus.

Da bin ich aber froh, Herr Sockisch.

Also los

Halt, Herr Sockisch!

Was ist denn, Herr Zwockisch?

Geht deine Geschichte jetzt ganz sicher gut aus, oder nur halb sicher?

Sie geht ziemlich sicher gut aus, Herr Zwockisch.

Ziemlich sicher. Bedeutet das ganz sicher oder nur halb ganz sicher?

Das bedeutet so ziemlich ganz sicher. Aber.

Was meinst du mit aber, Herr Sockisch?

Damit meine ich, dass ich selber nicht genau weiß, wohin mich die Gruselgeschichte führt, Herr Zwockisch.

Aber du entscheidest doch wohl, welche Geschichte du erzählst, Herr Sockisch, oder?

So einfach ist das nicht, Herr Zwockisch. Jede Gruselgeschichte hat ihre eigene Art, wie sie erzählt werden will. Und was mir noch auffällt an den Gruselgeschichten ist, dass sie sich ziemlich bald einmal, wenn man mit ihnen angefangen hat, von selbst erzählen, und zwar nicht immer so, wie man sich das vorgestellt hat am Anfang. Verstehst du, was ich sagen möchte, Herr Zwockisch?

Du möchtest mir also sagen, Herr Sockisch, dass du keine Kontrolle über die Geschichte hast, die du mir erzählst?

Hm ja, Herr Zwockisch, auch wenn ich es etwas vorsichtiger ausdrücken würde.

 

Ganz und gar keine Kontrolle, Herr Sockisch? Weißt du, was du da sagst? Das ist ein beunruhigender Gedanke, Herr Sockisch. Weil das bedeutet, daß ich dir, wenn du mir eine Gruselgeschichte erzählst, nicht vertrauen kann.

Du übertreibst, Herr Zwockisch.

Ich übertreibe keineswegs, Herr Sockisch. Dir zuhören beim Gruselgeschichtenerzählen ist purer Hasard für mich. Du weißt, wieviel Angst ich habe vor Geschichten ohne gutes Ende. Das muß etwas…

Mit deiner Kindheit zu tun haben, ich weiß, Herr Zwockisch.

Und was gedenkst du zu tun, Herr Sockisch, um mich nicht der Gefahr auszusetzen, daß ich vor deiner Geschichte Angst bekomme? Allein schon wenn ich es ausspreche spüre ich, wie die Angst in mir aufsteigt. Tu was, Herr Sockisch!

Ganz ruhig, Herr Zwockisch, ganz ruhig! Niemand tut dir etwas zuleide, hörst du! Es ist alles gut, du bist in Sicherheit hier, ich passe auf dich auf.

Du auf mich aufpassen? Wie denn? Du bist doch drauf und dran mir eine Gruselgeschichte zu erzählen!

Du kannst mich unterbrechen, sobald du Angst bekommst, Herr Zwockisch.

Ich habe schon jetzt Angst, Herr Sockisch.

Zur Person

Wolfgang ­Hermann

Geboren 1961 in Bregenz

Ausbildung Studium Philosophie und Germanistik

Publikationen u. a. „Abschied ohne Ende“, „Herr Faustini bleibt zu Hause“, „Paris Berlin New York“, „Konstruktion einer Stadt“, „Das japanische Fährtenbuch“, „Die letzten Gesänge“, „Der Lichtgeher“, „Herr Faustini bekommt Besuch“

Preise u. a. Anton-Wildgans-Preis, Förderpreis zum Österreichischen Staatspreis, Preis der Internationalen Bodenseekonferenz