Die Täter sichtbar gemacht

Eva Menasse schreibt gegen das Verschweigen.
Roman Die Orte in der Welt von “Dunkelblum” finden sich übersichtlich auf einer Karte im Buchdeckel. Sehr unübersichtlich ist das Seelenleben der Bewohner in dieser fiktiven österreichischen Kleinstadt. Doch die Gesamtschau der von Eva Menasse in ihrem Roman entworfenen Psychogramme gibt eine Ahnung, warum so viele so lange geschwiegen haben über die Verbrechen der Nazis. Als die Autorin im März 2019 zur Mainzer Stadtschreiberin gekürt wurde, erklärte sie: “Ich muss immer weg sein, um von Österreich zu schreiben.” Was Mainz mit dem Burgenland gemeinsam hat, ist der Wein, und der spielt in dem Roman immer wieder eine Rolle. Aber nicht nur Reben ranken sich, auch Brennnesseln, Haselsträucher, Brombeeren und Holunder. Diese haben den jüdischen Friedhof von Dunkelblum überwachsen. Dann aber kommen dort junge Freiwillige zusammen und stoppen mit Gartenscheren, Sägen und Schaufeln “die unendlich langsame Zerstörungskraft der Vegetation”. So legen sie das erste Grab frei, mit Angehörigen der Familie Tüffer. Und das Hotel Tüffer liegt auf der Karte von Dunkelblum ganz im Zentrum. Einst hatte es jüdische Besitzer, die gezwungen wurden, das Hotel abzugeben und zu fliehen.
Menasse erinnert an Gräueltaten wie das Massaker von Rechnitz – dort wurden im März 1945 mindestens 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordet. Entlarvend nüchtern beschreibt Eva Menasse, wie das Vergangene immer gegenwärtiger wird. Der Roman macht Täter und ihre Nachbarn sichtbar, das Panorama menschlicher Möglichkeiten zwischen Vertuschen und Aufklären, zwischen Gruppendruck und Dagegenhalten. So zeigt denn auch die Schlussszene ein Altarbild vom letzten Abendmahl, mit einem leidenden Christus und “gefiederten Teufelchen … in hübschen Wämsern und mit nackten, menschlichen Gesichtern”.
“Dunkelblum”, Eva Menasse, Kiepenheuer & Witsch, 523 Seiten.