So machen es die Nachbarn: Tolle Bilder von einer Familienoper

Leonard Evers nimmt Kinder und Junggebliebene mit auf seine „Odyssee“
ZÜRICH Das Musiktheater für Kinder und Jugendliche begann bereits in den achtziger Jahren Fahrt aufzunehmen. Seit den Neunzigern boomt es. Mit altersentsprechenden Programmangeboten, auch solchen pädagogischer und partizipativer Art, richten sich die Opernhäuser an den Nachwuchs. Schiere Selbstlosigkeit? Das nicht. Man hat begriffen, dass sich die Häuser unter anderem so fit halten für die Zukunft.

Am Opernhaus Zürich verhält es sich nicht anders. Als dessen Auftragswerk ist jetzt „Die Odyssee“ für ein Publikum ab sieben Jahren erfolgreich uraufgeführt worden. Mit der jüngsten „Familienoper“ kommt hier eine der ältesten Erzählungen überhaupt auf die Bühne. Bis zum Happy End, bei dem nicht auch noch das Blut der Rache fließt wie bei Homer, reiht die Librettistin Pamela Dürr spannende Episoden aus den Irrfahrten des Odysseus auf einen Erzählfaden. Und zwar auch aus der Perspektive von Telemachos: Den Sohn von Odysseus erleben wir, wie er zusammen mit seiner Mutter Penelope unter den Männern leidet, die sich während des Trojanischen Krieges im Palast breitgemacht haben. Zugleich erscheint die Geschichte aufgespannt zwischen einem kontrastierenden Götterpaar: Während Poseidon den Kriegsheimkehrer zerstören will, ist ihm Athene wohlgesinnt.

Der 1985 geborene Komponist Leonard Evers, ein im Genre der Kinderoper beschlagener Holländer, folgt mit seiner Partitur der Devise „Abwechslung erfreut“. Wobei textgezeugter Gesang und Klänge von Bläsern, Harfe, Gitarre, Akkordeon und Perkussion aus den Reihen der Philharmonia Zürich (Premiere-Dirigat: Eduardo Strausser) immer mit dem Inhalt der Figuren und der jeweils erzählten Episode korrespondieren und nicht in selbstzweckhafte Effekte abgleiten. Archaisierender Klangblock, jazzige Passage, mit Dissonanzen gewürzter schräger Walzer, impressionistischer Schwebeklang, „avancierte“ Clusterballung, farblich reizvolle solistische Einlassung: Evers versorgt das Ohr mit reichhaltiger Nahrung.

Rainer Holzapfel empfängt von der Geschichte wie von selbst Steilvorlagen für eine bildkräftige Inszenierung und nutzt diese entsprechend. Wenn Poseidon wieder einmal üble Laune hat und es auf dem Meer stürmen lässt, drehen sich im Bühnenbild von David Hohmann die kreisrunden Elemente eines stilisierten Wasserstrudels in schnellem Tempo. Auf dem kolossalen Objekt lässt sich auch trefflich Treppen hinauf- und hinunterklettern und herumtollen. Was die Jüngsten unter den Opernhaus-Besuchern ebenso erfreuen dürfte wie die Szene, bei der die Freier in Odysseus’ Palast PET-Flaschen an einen Gazevorhang schlagen. Die kostümbildnerische Fantasie von Lisa Brzonkalla ist zu bewundern, zum Beispiel bei Figuren wie dem einäugigen Riesen Polyphem oder da, wo die Zauberin Kirke die Gefährten von Odysseus in Schweine verwandelt hat.

An der Premiere vermochten Ruben Drole (Odysseus), Ziyi Dai (Athene), Barnaby Rea (Poseidon) und Chelsea Zurflüh (Kirke und Kalypso) und die weiteren Singdarsteller das Publikum zu fesseln mit gesanglich und schauspielerisch konturenklar gezeichneten, spannenden Charakteren. Torbjörn Bergflödt

Nächste Aufführung am 21. November um 14 Uhr, zahlreiche weitere: www.opernhaus.ch