Projektionsfläche für Ängste und Verzweiflung

Kultur / 16.11.2021 • 18:57 Uhr
Ensemble Kontrapunkt mit Dirigentin Dagmar Marxgut und Solistin Isabel Pfefferkorn in der Kirche Oberdorf. ju
Ensemble Kontrapunkt mit Dirigentin Dagmar Marxgut und Solistin Isabel Pfefferkorn in der Kirche Oberdorf. ju

Das Ensemble Kontrapunkt erweckte ein vergessenes religiöses Werk von César Franck.

DORNBIRN Bei den „Sieben Wortes Jesu am Kreuz“ denkt man zunächst an die berühmteste Vertonung, die Joseph Haydn in Form von Streichquartetten geschaffen hat. Es gibt unter diesem Titel aber auch eine Vokalkomposition des Franzosen César Franck, die zu jenen Raritäten gehört, wie sie die Dornbirner Chorleiterin Dagmar Marxgut mit Vorliebe und viel Engagement für die jährlichen Konzerte mit ihrem Ensemble „Kontrapunkt“ in der Oberdorfer Pfarrkirche St. Sebastian aufbereitet und ans Tageslicht befördert. Jüngst ließen sich zahlreiche Zuhörer mit großer Anteilnahme auf diese besondere Begegnung ein. Auch wenn „Die sieben Worte Jesu“ von ihrer Thematik um Abschied und Tod natürlich eher in die Karwoche gepasst hätte, eignet sich das Werk in seiner Gedankentiefe für die zahlreichen Besucher gut als Projektionsfläche für eigene Ängste und Verzweiflung in Pandemiezeiten.

Lange verschollen

Entstanden ist diese Kantate des großen französischen Romantikers 1859, blieb aber bis zu ihrer posthumen Uraufführung 1977 verschollen. Das Besondere an dieser Entdeckung ist, dass es César Franck in seiner Vertonung des lateinischen Bibeltextes samt reflektierenden Texten nicht allein um das Passionsgeschehen mit dem Kreuzestod Christi geht. Er stellt in der milden Süße der französischen Romantik und in der Instrumentierung mit sattem Blech eher die Tröstungen und Verheißungen der Religion auf die Auferstehung in den Mittelpunkt. Das hat freilich in der Kirchenakustik auch seine Tücken, denn der gut geschulte, nur mit Männern etwas spärlich besetzte Chor gerät bei solchen Forte-Stellen in der Balance mit dem klangvollen Ad-hoc-Orchester gerne etwas ins Hintertreffen. Dafür entschädigen die Sänger immer wieder mit sehr schön ausgewogenen und kompakten Chorsätzen, in denen sie in oft geradezu einschmeichelnden Melodien („Weib, sieh da, dein Sohn“) mit spürbarer Überzeugung und Glaubenskraft die Botschaft des Werkes transportieren.

Vokale Glanzpunkte

Die erfahrene Chorexpertin Dagmar Marxgut ist ihnen dabei hilfreich, disponiert alles mit großer Ruhe und Überlegenheit. Die drei jungen Solisten setzen in kurzen Arien oder Duetten immer wieder vokale Glanzpunkte. Die vielfach ausgezeichnete Sopranistin Isabel Pfefferkorn überzeugt mit warmem Timbre und großer Ausdruckskraft, der bayerische Tenor Michael Etzel verfügt mit seiner schlanken Stimme über große Höhensicherheit und angenehme Diktion, der auch von seiner Operntätigkeit bekannte Bariton Lothar Burtscher ist ein resonanzreicher, profunder Bass.

Eingerahmt wird das Hauptwerk durch zwei Streichquintett-Sätze von Luigi Boccherini unter Führung von Konzertmeisterin Andrea Gass sowie weiteren Werken von César Franck. Dies ist neben einem Kyrie vor allem das „Panis angelicus“, das „Brot der Engel“, seine bekannteste Melodie, die über Jahrzehnte zum Dauerbrenner der Radio-Wunschkonzerte wurde. Isabel Pfefferkorn, der Chor und das Orchester vermitteln dieses Stück Nostalgie zum Entzücken des Publikums, das mit Standing Ovations dankt.

Projektionsfläche für Ängste und Verzweiflung