„Ich bin entflammbar, nicht engagierbar“

Martin Lindenthal ist ein Musiker, der stets Ausschau hält nach neuen Ausdrucksformen und Aufgaben.
BREGENZ Er ist einer, der sich in seiner Vielfalt nur schwer einordnen lässt. Martin Lindenthal hat schon den Kammerchor Feldkirch und den Bregenzer Männerchor geleitet und schreibt Kompositionen, auch für den Chor seiner Studenten am Musikgymnasium und der Pädagogischen Hochschule Feldkirch. Als Singersongwriter packt er auch den kabarettistischen Stachel aus.
Bei so vielen Aufgabenbereichen – wo sehen Sie sich selber, was liegt Ihnen am meisten?
LINDENTHAL Die Freude musikalischen Zusammenspiels, das Wohlgefühl, der Spaß und die Gänsehaut, die gemeinsame Weiterentwicklung bei Entdeckungsreisen zu den Geheimnissen der Musik und ihrer geistigen Verbindungen mit dem Menschlichen und der Natur – Teil dessen sein zu dürfen, in welcher Form und Besetzung auch immer, das wird mich bis zum letzten Atemzug faszinieren.
Ist es auch so, dass eine Tätigkeit die andere bedingt?
LINDENTHAL Unbedingt, es gibt keine isolierte musikalische Beschäftigung. Wenn ich für mich solo schreibe, muss ich mich im übertragenen Sinne an einen schönen Platz begeben, an dem wir uns gemeinsam treffen, ein Platz, an dem alle von uns etwas Bereicherndes finden können. Nur „bei mir Zuhaus“ wird das nichts werden. Wenn ich für mein Duo „Wolken und Limonade“ mit Nadeschka Krajnc schreibe, wird dieser Platz ein anderer sein, weil wir zu zweit einen Weg nehmen werden, der uns beiden gelegen ist. Der Song wird anders klingen. Bei „Sapperlotta“, wenn es Sechse sind, ist das dann gemeinsam entwickelte Arrangement des Liedes noch weiter von der ursprünglichen Idee entfernt. In letzter Konsequenz ist das eine Veränderung vom „hierarchischen“ Denken hin zu einer „Aufgaben-Teilung“, die nicht funktioniert, wenn ein „Chef“ das will. So seltsam es klingt, ich musste durch das Soloprogramm lernen, dass die jeweilige musikalische Situation dies von sich selbst aus verlangt. Ein gravierender Unterschied. Am Ende schaut das fast gleich aus, fühlt sich aber für Publikum und Musiker völlig anders an.
Sie sind Pädagoge am Musikgymnasium Feldkirch. Wie weit ist da auch Berufung mit im Spiel?
LINDENTHAL Ich habe keine Sekunde gezögert, als die Anfrage kam. Ich habe sechs Jahre an der HBLA West in Innsbruck unterrichtet und war dort von der ersten Probe an mit dem Chor einfach nur fasziniert, da habe ich gesehen, da gehe ja ich „in die Schule“ und das ist auch am Musikgymnasium bis heute so geblieben. Jugendlichen den Blick auf die Welt der Musik zu erweitern – was für eine schöne Aufgabe. Es kommt auch immer Inspirierendes von ihnen: Sie zeigen dir täglich etwas, wo du noch nie im Leben hingeschaut hast – und ohne sie vielleicht nie hingeschaut hättest. Und sie bringen mich immer wieder zum Lächeln und zum Lachen.
Bei Ihrer Chorarbeit mit den Studenten pflegen Sie einen individuellen Stil auf hohem Niveau – wie kann man sich das vorstellen?
LINDENTHAL Wenn wir von Niveau sprechen, dann fangen wir unweigerlich an, einander zu vergleichen. „Der Vergleich macht Sie sicher…“, so heißt es. „…sicher unglücklich“, möchte ich hinzufügen. Es ist auch weniger eine Frage der Literatur. Es geht viel um frei fließende Rhythmik und den Klang, der durch persönliche Stimmfarbe und individuelle Atemführung entsteht. Dabei erstens: Die Musik muss leuchten können. Wir müssen alle Feuer fangen, sonst braucht es ein anderes Stück. Zweitens: Alles muss im Konzert „werkgetreu“, fein und musikalisch souverän zu bewältigen sein. Und deswegen darfst du drittens auch Milde walten lassen: Gegebenenfalls etwa einen Satz kürzen oder vielleicht auslassen, wenn es zu hart an die Grenzen geht – wir sind in der Ausbildung und dürfen in dieser Hinsicht meiner Meinung nach ein wenig Freiraum genießen.
Wie sehr haben leiden Sie unter der Coronapandemie – gerade Musik lässt sich doch nur schwer über Distancelearning vermitteln?
LINDENTHAL Musik ist das Gegenteil von „Distance“. Musik ist Berührung und Bewegung. Sie führt uns zusammen, um einen gemeinsamen Weg zu gehen, und vor einem Bildschirm bewegst du dich keinen Millimeter. Ich glaube, mehr muss ich dazu nicht sagen…
Schreiben Sie selber auch Kompositionen Neuer Musik oder läuft Ihre schöpferische Arbeit mehr unter Singersongwriter am Klavier?
LINDENTHAL Eindeutig mehr Singersongwriter, für mich selbst oder für die Ensembles, in denen ich spiele. Doch wenn ein inspirierender Auftrag kommt, dann bin ich voll dabei. Um mit Nikolaus Harnoncourt zu sprechen: „Ich bin nur entflammbar, nicht engagierbar.“
Zur Person
MARTIN LINDENTHAL
GEBOREN 1966 in Bregenz
AUSBILDUNG Studium an der Musikhochschule und Universität Wien, Ausbildung in Chorleitung und Dirigieren
TÄTIGKEIT Leitung mehrerer Chöre (u. a. Kammerchor Feldkirch, Bregenzer Männerchor, Kammerchor Innsbruck), Lehrtätigkeit (Tiroler Landeskonservatorium). Pädagoge am Musikgymnasium und an der PH Feldkirch; Kompositionen für Chor, Chor-Orchester und Ensembles; Singersongwriter solo, Duo „Wolken und Limonade“ und Sextett „Sapperlotta“
EHRUNG Erwin-Ortner-Preis 1999
FAMILIE verheiratet, drei Kinder