Des Meeres und der Liebe Wellen

Wanderer auf dem Eis
Volter Kilpi
Mare
256 Seiten
Geschichten aus dem hohen Norden, fast weihnachtlich.
erzählungen Volter Kilpi (1874–1939), ist ein großer Erzähler aus Finnland, genauer, aus dem Schären-Gebiet der Ostsee vor der Südwestküste Finnlands. Für hiesige Begriffe ist das ein extrem unwirtliches, kaum bewohnbares, zerklüftetes Gebiet, bestehend aus Aberhunderten von Inseln und Inselchen. Dementsprechend ist der Charakter des Menschenschlags, der dort siedelt und hauptsächlich mit Fischfang und Seefahrt seinen kargen Lebensunterhalt verdient bzw. im täglichen Kampf der Natur, dem Meer abtrotzt. Zu diesen Menschen gehört und von ihnen erzählt ebenso kundig wie souverän der Autor Volter Kilpi, Sohn eines Kapitäns. Nach frühen schriftstellerischen Erfolgen schlug er die Bibliothekarslaufbahn ein und widmete sein Leben den Büchern. Erst spät entstand sein epochales Meisterwerk „Der Saal von Alastalo“ von 1933, mit seinen über 1100 Seiten, die fast die ganze Welt in die Geschichte eines einzigen Nachmittags verpacken, ein Werk, das mit Proust und Joyce in einem Atemzug genannt wird.
Wie der große Roman liegen nun drei Erzählungen von Kilpi in einer Übersetzung von Stefan Moster in wunderschöner Aufmachung vor. Dabei kommt eine Sprache zum Vorschein, die bei aller Dramatik und Tragik, bei aller Enge und Schicksalshaftigkeit des Erzählten pure Notwendigkeit ist, ohne jede Künstelei, reine Musik; Musik, die tanzt, mitreißt, strömt, springt, laut und leise ist, melodisch und brüsk. Hier wimmelt es von Metaphern, die immer mehr sind als Metaphern, die auf den Kern einer Wahrheit, eines Lebens verweisen: „Schaut, ein Mann muss den Kopfknäuel auf vielerlei Art am Laufen halten, bevor er das Schnitzholz für einen Kapitän an sich hat, aber die Hauptsache ist, dass die Rechnung im Kopf schnurrt wie der Faden von der Spule am Spinnrad.“ So steht es in der Geschichte von Kapitän Lundström.
Das von ihm verursachte Schiffsunglück überlebt zu haben, ist für diesen Kapitän Lundström die größte Strafe, hat er doch seine Mannschaft auf dem Gewissen und ist seither zu einem Leben als Rechenlehrer verdammt. Die Seemannswitwe Riikka zupft in ihrer kleinen Stube Tag für Tag Dichtmaterial für den Schiffsbau und fragt sich, welchen Lauf ihr Schicksal genommen hätte, wäre ihr Mann nicht im Meer ertrunken und wären ihr Kinder vergönnt gewesen. Mit Blick auf die erleuchteten Fenster von Lundström und Riikka zieht wiederum der alte Taavetti seinen mit Holz beladenen, viel zu schweren Schlitten über das zugefrorene Meer und lässt sein Leben Revue passieren, während seine Kräfte mit jedem Schritt schwinden.
In den Erzählungen zeichnet Volter Kilpi ein hochatmosphärisches Bild dieser besonderen Insellandschaft und gibt den Menschen eine berührende, eine exemplarische Stimme. Schärenland ist überall. PEN