Auch ruhige Flüsse können gefährlich sein

Kultur / 18.02.2022 • 17:22 Uhr
Der letzte Sommer in der StadtGianfranco CalligarichZsolnay204 Seiten

Der letzte Sommer in der Stadt

Gianfranco Calligarich

Zsolnay

204 Seiten

Ein Filmstar zeigt Reue auf der Theaterbühne, das ist ein schwierigeres Unterfangen, aber es kommt noch anders.

Romane Ethan Hawke kennt man aus der Filmwelt. Er spielte in „Club der toten Dichter“, „Before Sunrise“ und „Boyhood“ und wurde vier Mal für den Oscar nominiert, „Hell strahlt die Dunkelheit“ ist sein dritter Roman. Im Grunde geht es um das rauschende Leben seines Hauptdarstellers William Harding. William ist ein weltbekannter Filmschauspieler, der seine Frau bei den Dreharbeiten in Afrika betrügt. Noch während er sein Opfer anbaggert, marschieren die Fotos bereits in die Sozialen Medien. Im nächsten Moment hängt der Schauspieler auch schon in einer veritablen Beziehungskrise. Zur Abkühlung hat er kein Filmengagement, sondern steht in New York auf der Theaterbühne, spielt Shakespeares „Heinrich IV.“ 

Da gab es aber schon einige Romane in dieser Richtung, Filme ebenso. Gefühlt passt dieses Werk in die späten 1980er-Jahre, kurz bevor Bret Easton Ellis mit „American Psycho“ den Society-Roman niederriss, und man seitdem vergebens einen Neuanfang sucht. Kann sein, dass man das Thema mittlerweile den Streamingdiensten überlässt. Wenn man auch noch über die doch eher egozentrische Art von William hinwegsieht, der keine drei Sätze denken kann, ohne wieder auf seine verkorkste Persönlichkeit zurückzukommen, ist der Roman wirklich gelungen. Ethan Hawke kann tatsächlich schreiben und Szenen entwerfen, darauf kann zukünftig aufgebaut werden.

Gianfranco Calligarich ist italienischer Autor, er kommt aus Triest, seine Familie zog nach Mailand und von dort ging er als Jugendlicher nach Rom. Nicht unwesentlich, denn diesen Weg bestreitet auch der junge Leo Gazzarro in seinem Roman „Der letzte Sommer in der Stadt“, in dem Rom als verführerische Diva glänzt. Leo geht nach der Schule von Mailand nach Rom, um mehr vom Leben zu erfahren. Tatsächlich steht hier auch ein junger Mann im Zentrum, er lässt aber tatsächlich mehr zu als gerade vorhin Ethan Hawke. Eine kleine, belanglose Romanze, eine Partie Schach, ein Vormittag am Tiber, im Grunde ist es die Zeit, die es gilt totzuschlagen oder einfach zu genießen, bis er Arianna kennenlernt, durch die oder mit der er die Verwandlung schafft.

Das süße Leben

Der Roman ist jedoch mehr als eine Coming of Age Geschichte. Nicht umsonst wird er zurzeit in über 20 Sprachen übersetzt. Er beschreibt sehr präzise die damalige junge Nachkriegsgesellschaft, die so richtig Hunger auf das Leben bekam und sich bescheiden aber doch von der tristen Realität eine Auszeit nehmen konnte. Der römische Gegenentwurf zum wilden Berlin oder Paris war eine ziemlich entspannte Bewegung, die sich erst langsam von den streng katholischen Moralvorstellungen wegbewegte. Und Rom war eine sehr verzeihliche Stadt, in der man viel versuchen konnte. Das lag wohl am Städtetourismus, Roms erste Geldquelle. So bleibt Rom eine Muse für Künstler und Intellektuelle. Sehr präzise beschreibt der Autor hier Leos Müßiggang, der sich gelegentlich in der Zeitungsredaktion sehen lässt, für die er als Freelancer schreibt aber lieber auf Partys geht, wo er einen bunten Haufen an Gleichgesinnten sieht, mit schmalem Etat aber großen Plänen. Von Anfang an ist Federico Fellinis Vermächtnis „La Dolce Vita“ spürbar, das ein präziser Spiegel der damaligen Gesellschaft war: Trotz aller abendlicher Feste bahnen sich die existenzhaften Fragen ihren Weg an die Oberfläche, nach Antworten ringend. Dazu fließt der Tiber gemächlich durch Rom, aber Obacht, schon manche sind in ihm ertrunken.

Hell strahlt die DunkelheitEthan HawkeKiwi326 Seiten

Hell strahlt die Dunkelheit

Ethan Hawke

Kiwi

326 Seiten