Wie das Beamtentum unterhöhlt wird

Vom Kaiserreich zur Republik
Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein/Hermann Hagspiel
Leykam
694 Seiten
Die Geschichte hochrangiger Amtsträger zu einem Geschichtswerk geformt, dem eine warnende Aktualität innewohnt.
Sachbuch Dass drei Generationen einer Familie im öffentlichen Dienst tätig waren, muss noch nichts Besonderes sein. Dass aber Großvater, Vater und Sohn auch schriftliche Aufzeichnungen zu ihrer dienstlichen Tätigkeit und zu ihrem privaten Leben hinterlassen haben, ist ungewöhnlich. Und einmalig ist vermutlich die Tatsache, dass die drei Herren einen Experten gefunden haben, der ihre jeweiligen Ego-Dokumente gekonnt und gewogen verbindet und in einen größeren historischen Zusammenhang stellt, der nahezu zweihundert Jahre österreichischer Geschichte umfasst.
Der diese umfangreiche Arbeit umsichtig und kompetent geleistet hat, ist der aus Hittisau stammende Historiker und Diplomat Hermann Hagspiel. Seine doppelte Ausbildung prädestiniert ihn, die von Carl (1826-1904), Nikolaus (1875-1958) und Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein (1927) nachgelassenen Aufzeichnungen zu kontextualisieren und auf der allgemeineren Folie ihrer jeweiligen Zeit auszubreiten. Das sehens- und lesenswerte Resultat ist ein fast 700-seitiger Band, der über die Familiengeschichte hinaus zu einem spannenden Panorama österreichischer Geschichte angewachsen ist. Das Faszinosum dieses Buches besteht darin, dass die private Sicht und Darstellung der drei historischen Akteure kaum oder nur sehr vorsichtig kommentiert, aber von Hagspiel im Blickwinkel erweitert und in einen einheitlichen Erzählstrom gebracht werden.
Carl war Diplomat der k.u.k. Monarchie in der Schweiz, an deutschen Höfen und in Stockholm. Besonders in den 1860er-Jahren in Deutschland, als Bismarck die kleindeutsche Lösung durchsetzte, war die Position des loyalen österreichischen Geschäftsträgers nicht einfach. Hagspiel weiß hier, den diplomatischen Ton und Stil sowie die Codes der Depeschen nach Wien zu interpretieren und die Botschaften zu entschlüsseln. Nikolaus Pfusterschmid, noch ganz nach dem Status des Vaters und im Glanz der Monarchie sozialisiert, studierte in Graz Rechtswissenschaft und begann im schlesischen Troppau seine Beamtenlaufbahn. Hier und in Graz „erlebte er das Gewaltpotential der nationalen Ressentiments“ (S. 316). Bald avancierte er zum Bezirkshauptmann von Leoben und in der Republik schließlich zum Landesamtsdirektor der Steiermark.
Sohn Heinrich absolvierte sein Jus-Sudium mit Beginn der 2. Republik, gelangte mit den familiären Beziehungen ebenfalls in den diplomatischen Dienst, in dem er in höchsten Positionen das neue Österreich vertrat und tiefe Einsichten in inner- und überstaatliche Zusammenhänge gewinnen konnte. Auch zahlreiche politische Akteure sah er aus nächster Nähe mit mehr und weniger kritischem Blick. Besonders aufschlussreich geriet seine Charakteristik des Karrieristen Kurt Waldheim (S. 621 f.)
Die Geschichte dreier hochrangiger Amtsträger hat Hagspiel zu einem fundierten Geschichtswerk geformt, dem eine gewisse warnende Aktualität innewohnt; indem nämlich durch den zunehmenden Einsatz höriger Referenten, die weniger das Gesamtwohl als den Machterhalt ihrer Herren als Zielvorgabe verfolgen, das staatstragende, korrekte und sachkundige Beamtentum unterhöhlt wird. MP