Gerald Matt

Kommentar

Gerald Matt

Boykott und Freiheit

Kultur / 10.03.2022 • 10:29 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Putins brutaler Überfall hat Blut und Terror über die Ukraine gebracht. Auch wenn der Westen keinen militärischen Beistand leistet, so bemüht er sich doch mit scharfen Wirtschaftssanktionen Russlands Aggression entgegenzutreten. Auch immer mehr Museen, Theater, Opernhäuser und Kunstinstitutionen brechen ihre kulturellen Kooperationen mit Russland ab. Was bisher als salonfähig galt, etwa russisches Geld für die Salzburger Festspiele oder eine Wiener Kunstmesse, ist heute zu Recht als Anbiederung und Akzeptanz des russischen Angriffskrieges diskreditiert. Aber wie sieht es mit russischer Kunst und Künstlern aus? Aufsehen erregte die Entlassung des Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker Waleri Gergiew. Der deklarierte Freund Putins hatte sich geweigert, der Aufforderung des Münchner Oberbürgermeisters nachzukommen, sich vom Diktator zu distanzieren. Die Starsopranistin Anna Netrebko, ebenfalls Unterstützerin Putins, wurde von der MET ausgeladen und wird bis auf Weiteres wohl kein Engagement mehr an westlichen Opernhäusern erhalten. Ob man damit die Künstler nicht vor Buhrufen bewahrt hat, sei einmal dahingestellt.

„Schließlich sind die Meinungs- und Kunstfreiheit elementare Säulen unserer Demokratie.“

So richtig es ist, dass aus öffentlichen Mitteln finanzierte Institutionen die Zusammenarbeit mit Menschen infrage stellen, die ihre Kunst zur Propaganda für den Diktator Putin nutzen , so falsch ist es, künstlerische Leistungen an deren moralischer Integrität zu messen. So wurden Handkes Bücher zu Recht auch nach seiner Solidarität mit dem Kriegsverbrecher Milosevic nicht aus den Buchhandlungen verbannt. Absurd wird es, wenn Oprah Winfrey Tolstois „Krieg und Frieden“ aus ihrem Buchclub verbannt oder das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester Tschaikowsky aus dem Programm streicht. Da siegt bestenfalls die Dummheit.
Schließlich sind die Meinungs- und Kunstfreiheit elementare Säulen unserer Demokratie, Werte, die der Westen zu Recht gegenüber totalitären Systemen und Despoten verteidigt.


Richtig verhält sich da die Frankfurter Buchmesse, die jedwede Zusammenarbeit mit „staatlichen russischen Institutionen“ ablehnt, aber gleichzeitig zur Zusammenarbeit mit russischen Autoren steht. Die kulturellen Sanktionen gegen Russlands staatliche Institutionen sollen konsequent anhalten, bis die Souveränität der Ukraine wiederhergestellt ist. Doch damit sie sinnvoll sind, müssen sie überlegt sein. Und sie müssen zulasten Putins und dessen Lakaien gehen, sich aber nicht gegen jene russische Künstler richten, die selbst unter Zensur und Gewalt leiden. Letztlich stellt unsere liberale Demokratie mit ihren Freiheiten Putins moralisch und wirtschaftlich versagende Diktatur am meisten infrage.

Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.

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