Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Kommentar: Der Abnutzungskrieg als Geduldsprobe

VN / HEUTE • 16:00 Uhr

Die Gedanken von US-Präsident Donald Trump sind manchmal unergründlich. Zumindest, wenn man nicht zum engen Kreis rund um den Republikaner gehört, der sich in der Rolle des selbsternannten Allmächtigen gefällt. „Es ist gut, dass Präsident Trump nicht ‘Nein’ gesagt hat, aber heute auch nicht ‘Ja’ gesagt hat“, meinte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach seinem Treffen mit Trump vergangenen Samstag, bei dem die beiden wieder über ein Kriegsende in der Ukraine sprachen. Ja, bei Präsident Trump muss man sich schön als geduldiger Bittsteller unterordnen, gerade, wenn man wie Selenskyj nach wie vor auf eine Zusage für die Lieferung von weitreichenden US-Marschflugkörpern des Typs „Tomahawk” wartet.

Die Ukraine ist im vierten Kriegsjahr gegen Russland auf solche Waffen angewiesen, sie könnte damit Treffer in weiter entfernten Teilen Russland erzielen. Präsident Wladimir Putin soll sich nach russischen Angaben bei seinem jüngsten Telefonat mit Trump am Vortag des USA-Ukraine-Treffens allerdings gegen die Lieferung der „Tomahawks” an die Ukraine ausgesprochen haben. Trump und Putin vereinbarten, bald zu einem Gipfel in Ungarn zusammenkommen zu wollen – das nächste Kapitel in der Geschichte eines Abnutzungskrieges, wie Militärexperten den endlosen Krieg prosaisch nennen.

Die Hoffnung hochhalten

Selenskyj selbst hat seit dem Angriff Russlands am 24. Februar 2022 sein Auftreten adaptiert, vom furchtlosen Kriegsherrn hin zum Pragmatiker, der um eine Lösung für sein Land ringt. Er hatte von Beginn an zwei Strategien: Hoffnung zu verbreiten, um die Menschen im Land zum Durchhalten zu bewegen; und die Heldenerzählung von der Ukraine, die sich gegen den Angreifer Russland wehrt, professionell über Social Media und herkömmliche Medien in die Welt hinauszutragen.

Doch auch hier gilt wie immer im Aufmerksamkeitsgeschäft: Das Interesse der Welt ermattet irgendwann, weil es viel zu viele Informationen und andere Probleme auf der Welt gibt. Der Krieg in der Ukraine ist ein trauriger Begleiter unseres Alltags geworden. Das Land befindet sich in einem täglichen Kampf, von seinen Verbündeten in Europa und der Welt gesehen zu werden, um weiterhin mit Waffen und Kriegsgerät unterstützt zu werden. Die Lieferung der von der Ukraine erhofften Marschflugkörper hielt Trump vergangene Woche noch für verfrüht. „Hoffentlich werden Sie diese nicht brauchen“, sagte er zu Selenskyj und setzte auf ein mögliches Kriegsende: „Ich denke, wir sind ziemlich nah dran.“ In Momenten wie diesen muss sich Wolodymyr Selenskyj wohl besonders anstrengen, um pragmatisch-geduldig zu bleiben.