Christa Dietrich

Kommentar

Christa Dietrich

Unpolitische Künstler gibt es an sich nicht

Kultur / 31.03.2022 • 23:00 Uhr

Elisabeth Sobotka, Intendantin der Bregenzer Festspiele, hat jüngst ein gutes und nachvollziehbares Statement zur Ausladungsdebatte anlässlich des russischen Angriffskriegs in der Ukraine abgegeben. Im Rahmen einer gestreamten Dialogdiskussion des Bundesministeriums erklärte sie sich uneingeschränkt solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, verwies aber auf die Notwendigkeit der Differenzierung sowie vor allem auf die grundsätzliche Komplexität von Kunst und Kultur. Kunst brauche Freiräume, es sei wichtig, diese zu nutzen, Fragen zuzulassen, sie in die Welt zu tragen und nicht gleich zu beantworten.

Anna Netrebko wird sich allerdings nicht auf einen solchen Frei- und Nachdenkraum berufen können. Ihr Fall liegt anders. Vor einem Monat noch konnte sich die Sopranistin, deren pro-russische Propaganda dokumentiert ist, zu keiner Distanzierung von Präsident Wladimir Putin und seinem Handeln durchringen. Nach zahlreichen Absagen ihrer geplanten Auftritte durch sie selbst oder durch Veranstalter quälte sie sich nun zu einer marginal angepassten Stellungnahme durch und verurteilte den Krieg gegen die Ukraine „ausdrücklich“. Ob Ende Mai, wenn sie wieder auftreten will, ein echtes Comeback zu feiern ist, bleibt allerdings fraglich.

Die Mailänder Scala hat bereits wieder einen Auftritt im Programm, die New Yorker Metropolitan Opera verhält sich abwartend und für die Zürcher Oper bleibt die vor einem Monat getätigte Aussage zu den Absagen von Auftritten Netrebkos wohl gültig, kommt hier doch Differenzierung wie Überlegtheit zum Ausdruck: „Wir halten es grundsätzlich nicht für angemessen, aus der Perspektive einer westeuropäischen Demokratie, die Entscheidungen und Handlungen von Bürgerinnen und Bürgern repressiver Regime zu beurteilen. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass unsere entschiedene Verurteilung von Wladimir Putin und seinem Handeln einerseits und Anna Netrebkos öffentliche Position dazu andererseits nicht kompatibel sind.“

Abgesehen davon, dass feststeht, dass die Klassikbranche nicht darniederliegt, wenn einige prominente Einnahmequellen fehlen (auch der Rauswurf von Putin-Freund und -Unterstützer Waleri Gergijew aus dem Chefdirigentensessel wird die Qualität der Münchner Philharmoniker nicht mindern), sollte in Bereichen, in denen Respekt vor künstlerischen Leistungen gerne einmal in naive Verehrung oder gar Verklärung umschlägt, die Verantwortung, die jeder trägt, nicht aus dem Fokus geraten.

Ein unpolitischer Mensch (bzw. Künstler) kann der sein, der seine Geschäftsfähigkeit storniert und sie einem Beistand anvertraut. Auch mit jedem Einkauf handelt man politisch. Schon gar nicht können sich Sänger und Sängerinnen, wie es Anna Netrebko tat, die neben der russischen auf eigenes Ansuchen auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, auf ihr unpolitisches Künstlerdasein berufen, wenn sie kein Problem damit hatten oder haben, als Tischdamen und -herren bzw. Anhänger von Diktatoren oder Autokraten zu fungieren.

“Wo Respekt vor künstlerischen Leistungen gerne einmal in naive Verehrung oder gar Verklärung umschlägt, sollte die Verantwortung, die jeder trägt, nicht aus dem Fokus geraten.”