Das Wagnis Barock

Jubiläumskonzert “40 Jahre Vocale Neuburg” unter Oskar Egle hinterließ einen zwiespältigen Eindruck.
GÖTZIS. Ein durchaus gangbarer Weg zum 40-Jahr-Jubiläum, den der renommierte Kammerchor Vocale Neuburg in zwei mit viel Beifall aufgenommenen Konzerten am Wochenende in der Kulturbühne AmBach gewagt hat: Einmal den ganzen Ballast des bisher gepflegten Repertoires mit aufregend aktuellen Chorsätzen und Romantik über Bord werfen, damit seine Vielseitigkeit unter Beweis stellen und mit dem Schlachtruf „Barock pur!“ in neues Terrain vorstoßen. Warum also nicht sich einen Abend lang ganz diesem bisher vernachlässigten Bereich widmen? Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Auch wenn nicht wie die Chor-Mitbewerber im Land gleich mit den großen Kalibern dieser Sparte aufgetrumpft wird, hat gerade Bach auch in den komplexen Chorsätzen seiner kleineren Werke durchaus seine Tücken.
Vielleicht war es auch keine so gute Idee von Gründer und Chorguru Oskar Egle, seine mittlerweile auf 45 Mitglieder angewachsenen Truppe beim „Wagnis Barock“ gleich mit Bachs berühmter, höchst anspruchsvoller fünfstimmiger Chor-Motette „Jesu, meine Freude“ mit ihrer extremen Polyphonie ins Rennen zu schicken. Da vermisst man ausgerechnet zum Jubiläum gleich jenen geschlossenen Chorklang, den man als Marke von „Vocale“ schätzen gelernt hat. Alles wirkt bemüht und verkrampft statt frei, die Einsätze kommen nur zögerlich, die Intonation steht auf wackeligen Beinen, die Köpfe hängen tief in den Noten. Mag sein, dass auch die letzten Corona-Ausläufer noch ein Proben-Manko verursacht haben oder die Sänger einfach einen schlechten Tag hatten – jedenfalls wirkt der Chor in diesem Moment mit diesem Werk eindeutig überfordert. Ein Eindruck, mit dem man zerknirscht in die Pause geht.
Vielleicht gab es da wie beim Fußball in der Halbzeit durch Trainer „Ossi“ eine Kabinenpredigt, die sich gewaschen hat. Jedenfalls zeigt sich der Chor im zweiten Teil wie ausgewechselt, zeigt sich in der großen, festlichen Missa Nr. 9 in D von Johann David Heinichen (1683 – 1729) in seiner gewohnten Form. Nun ist Heinichen eben nicht Bach, sondern ein Dresdner Kleinmeister, der aber auch in einfacherer Schreibweise schöne Effekte und eine gläubig-ansprechende Vertonung des lateinischen Ordinariums zustande bringt, die dem Chor weit besser liegt. Glanzpunkte sind das berührende „Et incarnatus est“, die „Hosanna“-Fuge und die breit angelegte Friedensbitte im „Agnus“, und da findet man nun auch alle guten Eigenschaften der barocken Chortradition wie Schlankheit, Beweglichkeit der Stimmen und Transparenz des Klanges. Auch Oskar Egle ist hier in seinem Element, sorgt für klare Diktion und lässt auch der heimischen Barock-Spezialistentruppe „Concerto Stella Matutina“ auf alten Instrumenten breiten Raum für ihre Begleitung im festgefügten Continuo, den silbernen Streichern, dem glitzernden Holz und den doppelt besetzten Naturhörnern und -trompeten zur klanglichen Prachtentfaltung. Als fabelhafter Konzertmeister erweist sich der Geiger David Drabek, im ersten Satz eines einleitenden Heinichen-Konzertes auch mit solistischen Qualitäten.
Ein idealer Ersatz
Beim Solistenquartett ist der Covid-bedingte Ausfall der heimischen Sopranistin Miriam Feuersinger zu beklagen. Die Tirolerin Maria Erlacher ist insofern ein idealer Ersatz, als ihretwegen nichts am Programm geändert werden muss. Im Vorfeld bewältigt sie auch die Bach-Arien mit Anstand, vor allem in der zweiten mit lebendigen Koloraturen und jubelnder Überzeugung. In der Messe beschert sie im „Agnus“-Duett zusammen mit der heimischen Mezzosopranistin Lea E. Müller eindrucksvolle Momente, Müller ist die große solistische „Benedictus“-Arie zugedacht, die sie mit Wärme, Ausdruckskraft und nobler Zurückhaltung erfüllt. Mit einem kostbar klaren „Evangelisten-Tenor“ trumpft der Schweizer David Munderloh auf, der Bass Stefan Zenkl gibt dem „Crucifixus“ profunde Konturen.

Rundfunksendung: 23. Mai, 21.00 Uhr, Radio Vorarlberg