Ein Sittenbild der Doppelmoral

Die spürst du nicht
Daniel Glattauer, Paul Zsolnay Verlag, 304 Seiten
Bestsellerautor Daniel Glattauer verleiht in seinem neuen Roman „Die spürst du nicht“ jenen eine Stimme, die sonst ungehört bleiben.
Roman Achteinhalb Jahren mussten Fans von Daniel Glattauers Romanen auf eine Neuerscheinung warten. Jetzt ist sie da. „Die spürst du nicht“, erschienen im zur Hanser-Gruppe gehörenden Zsolnay Verlag, ist nicht nur eine sehr persönliche Geschichte, sondern auch eine gesellschaftspolitische. Der 67-jährige Schriftsteller und Journalist und seine Ehefrau sind selbst Paten von drei Jungs aus Somalia und einem mittlerweile 16-jährigen Mädchen aus Afghanistan. In einem Interview erzählte er, dass dieses Mädchen einmal mitgekommen sei, um schwimmen zu lernen. Da seien sie vorher Worst-Case-Szenarien durchgegangen. Und genau das war dann die Ausgangssituation für das Buch. Wohlhabende, gut situierte Menschen mit liberaler Prägung und ein Flüchtlingskind, das in einem Swimmingpool ertrinkt. Glattauer braucht dabei noch nicht einmal 40 Seiten bis es zum Unglück kommt. Danach ist alles anders. Während die Eltern wieder versuchen ihr altes Leben aufzunehmen, muss die 14-jährige Sophie Luise mit ihrer Trauer um Ayana und der Wut alleine klarkommen – die Erwachsenen haben keine Zeit für sie. So lernt der Teenager im Internet den mysteriösen Pierre kennen.
Der Autor spannt in „Die spürst du nicht“ ein Netz aus Erzählsträngen, wobei der Fokus vor allem auf den Erfahrungen von Elisa und Tochter Sophie Luise liegt. Dabei beweist er Feingefühl für Details, denn seine Figuren und deren Gedankengänge berühren. In seinem Roman zeichnet er ein Gesellschaftsbild mit vorherrschender Doppelmoral. Zum einen die Wohlhabenden, die meinen, mit Macht und Geld alle Problem lösen zu können, und zum anderen die Migranten am Rand der Gesellschaft, die viel zu oft weder gehört noch gesehen werden.
Verschiedene Ebenen
Glattauer gelingt es mit „Die spürst du nicht“, einen modernen Roman zu schreiben, der die Kommunikationswege wie Chats und Kommentare aus Internet-Foren, aber auch Pressemitteilungen mit einbaut. Der Roman schafft es, den Leser schnell für sich einzunehmen und bis zuletzt zu fesseln, auch wenn aus der Natur der Sache heraus dann doch manches ein wenig konstruiert wirkt, was die authentischen Protagonisten allerdings spielend wettmachen. „Die spürst du nicht“ überzeugt durch die unkonventionellen Aufbauart und Erzählweise vollends und hat sich das Prädikat „empfehlenswert“ verdient. JMA