Wider die Kerle, zum Antisemitismus der „Rinken“
Die hasserfüllte Vermengung von Juden, Kapitalismus und gar Bolschewismus durch die Nazionalsozialisten nannte der Sozialdemokrat August Bebel „Antisemitismus der dummen Kerle“. Ist der Antisemitismus eine neue Vitaminspritze für eine orientierungslose Linke? Was bisher Kernkompetenz der extremen Rechten war, wird im Sinne von Jandls Gedicht „Rinks und lechts“ („manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern, werch ein illtum“) unter Auflösung bisher bestehender ideologischer Schamgrenzen nun zur linken toxischen Melange aus Antizionismus, Antikolonialismus und Antikapitalismus.
Man denke nur an die rassistischen Beiträge auf der Documenta oder die Unterstützung der BDS-Bewegung durch deutsche Kulturschaffende, die Israel, die – bei allen leider zunehmenden autoritären und radikalen Tendenzen – einzige Demokratie im Nahen Osten, als Schurkenstaat denunzieren und in seiner Existenz durch einen radikalen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Boykott vernichten wollen. Ausgeblendet wird da gerne, dass Staaten wie Syrien, Ägypten, Iran, Saudi Arabien, Jemen, die palästinensische Westbank und Gaza wohl kaum als Gegenmodell von Demokratie und Menschenrechten taugen. Erinnert sei auch an die antisemitische Rolle der palästinensischen Nationalbewegung in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs in Europa und im Nahen Osten. Lesenswert ist dabei Sherko Fatahs Roman „Ein weißes Land“ (2011), das über die Shoah und das als Farhud bezeichnete Pogrom gegen die Juden von Bagdad im Juni 1941 berichtet. Es passt jedoch ins antisemitische Bild, dass die Vertreibung der Juden aus den arabischen Staaten im Zuge der jüdischen Staatsgründung für die antiisraelische Lobby nicht der Rede wert ist. Symptomatisch für die Entwicklung in Europa ist die Situation in Frankreich. Die Zeiten als Jean-Paul Sartre während des Sechs-Tage-Kriegs mit „affektiver Entschiedenheit“ für den jüdischen Staat die Stimme erhob, sind längst vorbei. So reichten letztes Jahr Abgeordnete der französischen Linksunion Nupes (Grüne, Sozialisten und Linkspartei Unbeugsames Frankreich) eine Resolution ein, Israel als Apartheidregime zu verurteilen und mit Sanktionen zu bestrafen. Ein Antrag, der glücklicherweise noch chancenlos war, aber weiter dazu beitrug, antisemitische Tabus zu brechen.
Lehnte schon der sozialistische Präsident François Mitterrand die Mitverantwortung Frankreichs an den Deportationen und am Holocaust ab, er ließ lieber Blumen an den Geburtstagen des Nazikollaborateurs Marschall Petain an dessen Grab legen, so setzen dies in antisemitischer Tradition die linken Melenchonisten fort. Klar, dass auch die Angriffe muslimischer Radikaler gegen Juden im ganzen Land als Integrationsversagen abgetan werden. Da erklingt die alte Leier: Sind nicht die Juden selbst am Antisemitismus schuld? Dass auch ein Teil der linken Kulturszene, wie Nobelpreisträgerin Ernaux, diese Politik unterstützt, gleichzeitig aber weder Kritik an der Unterdrückung der Uiguren in China oder der Ermordung von Frauen im Iran, ja ihrer Behandlung in der gesamten muslimischen Welt, übt, passt ins Bild dieses wachsenden, einseitigen Antisemitismus. Auch bei uns gibt es wieder genug dumme Kerle. Ihrer Dummheit, ob rinks oder lechts, muss entschieden entgegengetreten werden.
„Die Zeiten, als Jean Paul -Sartre während des Sechs-Tage-Kriegs mit ,affektiver Entschiedenheit‘ für den jüdischen Staat die Stimme erhob, sind längst vorbei.“
Gerald Matt
gerald.matt@vn.at
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.