Alle neune und noch einen dazu!

Alle neune
Klaus Kastberger, Verlag Sonderzahl, 173 Seiten
Klaus Kastberger erschließt den Leser neu, Nell Zink katapultiert ihn in eine andere Welt.
Roman Über Literatur zu schreiben ist nicht einfach: Es gilt, den zu beschreibenden Autor zu fassen und zugleich dem Leser das Gefühl zu geben, durch das Lesen des Buchs einen Mehrwert zu generieren. In diesem Falle ein Wissen, das man jetzt vielleicht nicht auf der nächsten Grillparty aber doch bei Diskussionen über moderne Kunst und Literatur anbringen kann. Kastberger legt hier zehn Aufsätze vor: Von Wildgans über Horvath bis zu den Avantgardisten und zu Mayröcker ist das doch der Kanon der österreichischen Literatur des
20. Jahrhunderts. Kastberger schreibt aus der Sicht des Archivars.
Begegnungen
Hier wird klug betrachtet und kritisch gewürdigt. Eben kritisch, denn Anton Wildgans zählt laut Kastberger zu Recht zu den vergessenen Autoren, während sich Horwath erst mit „Jugend ohne Gott“ tatsächlich ins Exil schrieb, da er mit diesem Roman eine Rückkehr ins Dritte Reich unmöglich machte. Viel Spaß macht hier natürlich die Wiener Gruppe, die quasi den Neuanfang mit der Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg ausrief. Oswald Wiener sei Dank, der samt archivierten Klaviertasten, ein sehr lebendiges Archiv hinterließ. Peter Handke muss sein, recht so, von Kastberger als Klassiker, als „Shakespeare ohne große Staatsaktionen“ geadelt. Die Liste fortsetzen würde hier den Rahmen sprengen. Fazit: Kastbgerger ist der Suchende, der Forschende, der sich die Autoren neu erschließt. Sein Ziel ist, den Blickwinkel zu erweitern, das scheinbar mühelos gelingt. Gut so einen Geisteswissenschaftler bei Bachmann und im Grazer Literaturhaus sitzen zu haben, der zugleich gut verständlich sowie wissenschaftlich fundiert mit „Alle neune“ eine Art Bilanz als Archivar über die österreichische Literatur des 20. Jahrhunderts geschaffen hat. Respekt!
Magisch und originell
In Nell Zinks aktuellem Roman „Avalon“ geht es um ein Mädchen, das zu kämpfen hat. Brandy „Bran“ Thomas hat ihren Vater nie kennengelernt und ihre Mutter starb in einem buddhistischen Kloster an Krebs, als sie noch ein Kind war. Das Mädchen wurde in Südkalifornien auf einem abgewirtschafteten Hof bei ihrer Stieffamilie – die eine Baumschule betreibt und gemeinsam mit Motorrad-Gangs kriminellen Machenschaften nachgeht – zurückgelassen und muss auch in ihrer Freizeit Gartenarbeiten erledigen. Nichtdestotrotz wird es ihr ermöglicht, die High School zu besuchen, dort wird sie allerdings sofort als seltsam abgestempelt – naheliegend, denn neben der tagelangen Schufterei in der Pflanzengärtnerei bleibt keine Zeit für Hygiene und Make-up. Trotz der schwierigen Voraussetzungen findet Bran schnell Freunde: Jugendliche aus reichem Hause, die nach sich selbst suchen. Bran schließt die High School ab, darf im Gegensatz zu ihren Freunden jedoch keinen weiteren Bildungsweg einschlagen und muss ihre Arbeit an der Baumschule fortsetzen. Es tun sich dennoch immer wieder Möglichkeiten auf, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wie zum Beispiel ein Nebenjob in einem Coffee-Shop. Schließlich lernt sie den intellektuellen, gutaussehenden Peter kennen. Magisch voneinander angezogen, gibt es nur ein Problem: Peter ist mit einer bruneiischen Prinzessin verlobt – das ist nicht die letzte Hürde, die Bran zu meistern hat.
Mit ihrem 2019 erschienenen Roman „Virginia“ wurde die bei Berlin lebende Autorin für den National Book Award nominiert und schlagartig bekannt. „Avalon“ ist ein weiterer Erfolgsgarant. So schafft es die Autorin den Leser in eine andere Welt zu katapultieren: ein klassizistisches, chancenungleiches und ungerechtes Amerika, das nicht geschönt ist und den Leser aus der Perspektive eines sozial benachteiligten Mädchens den Ernst des Lebens spüren lässt.

Avalon
Nell Zink, Rowohlt, 269 Seiten