Ein umstrittener und geliebter Literat

Kultur / 28.07.2023 • 21:47 Uhr
Der Erzähler und Lyriker gehörte zu den bedeutendsten wie streitbarsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. dpa
Der Erzähler und Lyriker gehörte zu den bedeutendsten wie streitbarsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. dpa

Der große deutsche Schriftsteller Martin Walser ist im Alter von 96 Jahren gestorben.

Berlin Zuletzt war er als öffentliche Stimme etwas ruhiger geworden, nun ist der große deutsche Schriftsteller Martin Walser im Alter von 96 Jahren gestorben, teilte der Rowohlt Verlag am Abend mit, nachdem zuvor bereits mehrere Medien berichtet hatten. Der Erzähler und Lyriker gehörte zu den bedeutendsten wie streitbarsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. Sein umfangreiches Werk wurde stets breitflächig rezipiert und oftmals kritisiert. Noch kurz vor dem 95. Geburtstag hatte Walser „Das Traumbuch“ veröffentlicht. Für seine Dutzenden Romane und Geschichten, die er in 68 Jahren literarischen Schaffens geschrieben hatte, wurde Walser mit fast allen bedeutenden Preisen ausgezeichnet. Einzig der Nobelpreis, für den er immer wieder gehandelt wurde, blieb ihm verwehrt. Dabei war Walsers Werk kein einfaches. Über die Jahrzehnte lösten seine Texte oder öffentlichen Reden Bewunderung, aber auch heftige Kritik aus. Geboren wurde Walser am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee. Schon als Zwölfjähriger soll er erste Gedichte geschrieben haben, nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Literaturwissenschaft, bevor er schließlich selbst zum Literaten wurde. Seinen ersten Erzählband „Ein Flugzeug über dem Haus“ veröffentlichte er 1955, den ersten Roman „Ehen in Philippsburg“ 1957. Vor allem letzterer ebnete Walser den Weg in die breite Öffentlichkeit. Dann erschien ein Werk nach dem anderen. Walsers bis heute erfolgreichstes Buch wurde „Ein fliehendes Pferd“ (1978).

Breite Diskussion

Und zugleich gab es auch den Martin Walser, der Debatten lostrat, die Provokation liebte. So wurde 2002 sein „Tod eines Kritikers“ ein Publikumserfolg – und zugleich als Abrechnung mit dem mittlerweile verstorbenen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki verstanden. So entfachte er wieder einmal eine breite Diskussion im Feuilleton. Auch Walsers Wort von der „Auschwitz-Keule“, das seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 in der Frankfurter Paulskirche entsprang, empörte manche Proponenten der Zivilgesellschaft. Walser hatte damals von der „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ gesprochen: „Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung.“ Und noch im vergangenen Jahr gehörte Walser zu den Unterzeichnern des Offenen Briefs von Alice Schwarzer zum Ukraine-Krieg, der eine heftige Debatte in Deutschland über Pazifismus und Feigheit im Angesicht von Gewalt auslöste.

Am Ende seines Lebens umfasste Walsers Œuvre zwei Dutzend Romane, zahlreiche Novellen und Geschichtensammlungen, viele Theaterstücke, Hörspiele und Übersetzungen sowie Aufsätze, Reden und Vorlesungen. „Ein titanisches Werk“, sagte Literaturkritiker Denis Scheck einst.