Vielfalt vor Einfalt

Kultur / 16.08.2023 • 15:49 Uhr
<p class="caption">Dietmar Nigsch leitet gemeinsam mit Eugen Fulterer den Walserherbst. <span class="media-container dcx_media_rtab" data-dcx_media_config="{}" data-dcx_media_type="rtab"> </span><span class="copyright">Türtscher</span></p>

Dietmar Nigsch leitet gemeinsam mit Eugen Fulterer den Walserherbst.  Türtscher

VN-Interview mit Dietmar Nigsch (62), künstlerischer Leiter des Walserherbst Festivals.

Blons Seit 2004 verbindet der Walserherbst alle zwei Jahre gelebte Tradition mit zeitgenössischer Kunst im Großen Walsertal. Dietmar Nigsch hat dieses einzigartige Kunstfestival ins Leben gerufen. Gemeinsam mit Eugen Fulterer kuratiert er auch die diesjährige Jubiläumsausgabe, die vom 17. August bis 10. September stattfindet.


Herr Nigsch, blicken Sie zurück: Was hat Sie vor zwanzig Jahren bewogen, dieses Festival ins Leben zu rufen?
NIGSCH Sieglinde Müller-Eberhart und ich hatten schon 1988 die Idee, Peter Turrinis Komödie „Die Wirtin“ in St. Gerold aufzuführen, sozusagen als Hommage an die vielen starken Frauen im Großen Walsertal. Der eigentliche Auslöser für die Gründung des Walserherbstes war dann die Erklärung des Tales durch die UNESCO zum Biosphärenpark als besonders schützenswerte Region für eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise. „Das sinnvolle Zusammenwirken der Bereiche Gesellschaft, Wirtschaft, Ökologie und Kultur“ wurde im Leitbild verankert. Daraus entstand unsere Idee, mit einem biennalen Kulturfestival einen Beitrag für die Menschen im Tal zu leisten.

„Je näher die Kunst am Menschen ist, desto stärker ist sie.“  <span class="copyright">Walserherbst</span>
„Je näher die Kunst am Menschen ist, desto stärker ist sie.“ Walserherbst


Trotz Ihrer Erfolge in Wien fühlen Sie sich dem Großen Walsertal nach wie vor sehr verbunden. Was ist für Sie das Besondere am Großen Walsertal?
NIGSCH Ich glaube, dass die Kindheit und frühe Jugend für jeden Menschen prägend sind. Meine Großeltern waren Bergbauern in Blons, sie haben mir vorgelebt, wie man das Leben in einer übermächtigen Natur meistert. Sie waren mir ein großes Vorbild und haben mir Verwurzelung und Standhaftigkeit vermittelt. Meine Kindheit, Schulzeit, Pubertät und Konsumlehre: Alles fand im Tal statt!


So kam es zum Umzug nach Wien?
NIGSCH Ja, denn im Großen Walsertal prägten Religion und Politik, also Kirche, Wirtshaus und Bürgermeister, das Leben. Das wurde für einen Freigeist wie mich, der ich im Grunde immer war, ziemlich eng. So tauschte ich hochmotiviert, fest verwurzelt und bodenständig das Ländliche gegen das Städtische. Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können! Diese beiden Inspirationsquellen ergänzten und bereicherten meine Kulturarbeit im Tal.


Welche markanten Veränderungen hat das Festivalprogramm in den letzten zwanzig Jahren erfahren?
NIGSCH Neben unzähligen temporären Räumen sind auch einige permanente Projekte und Räume entstanden, wie etwa der Kulturraum Blumenegg in Thüringerberg, der Naturraum Labom in Raggal, das Lutzschwefelbad und der Messnerstall in Buchboden, die Seebühne am Seewaldsee in Fontanella oder die Revitalisierung der vier historischen Gewölbekeller des Walserhauses in Blons.

Sie zeichnen sich durch einen weiten Kunst- und Kulturbegriff aus. Wie würden Sie diesen für sich definieren?
NIGSCH In drei Worten: Vielfalt vor Einfalt! Je näher die Kunst am Menschen ist, desto stärker ist sie. Auf dem Land ist die Kultur sowieso da, ich muss sie nicht ins Tal holen. Die Walser haben seit ihrer Ansiedlung ihren Lebensraum kultiviert, sie sind bodenständig und im Sein verwurzelt. Negativ äußert sich dies im Verharren in Strukturen und einem unreflektierten Heimatgefühl. Kunst im ländlichen Raum verunsichert manchmal, wie das meiste, was neu ist. Es ist kein sicherer, aber ein angstfreier Raum, in dem populistische Angstmacher, die vor dem Neuen, dem Anderen, dem Fremden warnen, keinen Platz haben. Echte Ängste zu erkennen ist das eine – Ängste zu schüren, ohne Lösungen zu finden, das andere! Angst kann auch als treibende Kraft gesehen werden, die gemeinsame Lösungen finden kann.


Der Begriff der Gastfreundschaft spielt in der Programmgestaltung des Walserherbstes eine prägende Rolle. Inwiefern spiegelt sich das im aktuellen Programm wider?
NIGSCH Wir haben zehn sardische Hirten für eine ganze Woche ins Tal eingeladen, mit denen wir einen kulturellen und kulinarischen Austausch pflegen. Außerdem werden wir in Raggal und Blons zwei temporäre Gasthäuser einrichten, in denen einfache Speisen, Musik und vor allem soziale und kulturelle Themen zum Diskurs einladen – Themen, die gerade jetzt an Relevanz und Dringlichkeit zunehmen.

Welche Programmpunkte sind Ihre persönlichen Highlights?
NIGSCH Als Besucher würde ich folgende Veranstaltungen nicht versäumen wollen: alle drei „klingenden Kirchen“ mit großartigen Künstlern, eine Ausstellungsreise durch das Walsertal zu 18 Künstlern in acht Räumen und unbedingt sehenswert sind zwei Theaterproduktionen: „Odysseus am Sand“ und „Donna Quichotte“ für kleine und große Besucher.
BI