Bach und die tanzende Orgel

Rheintaler Bachchor, Alexander Seidel und Umberto Kostanić boten mitreißende Deutungen.
FELDKIRCH Das Konzert am Freitag im Dom St. Nikolaus mit dem Rheintaler Bachchor war so etwas wie ein meditativer Gottesdienst mit Johann Sebastian Bach, den viele Musikfreunde ja längst als ihren heimlichen Gott verehren. Und in der Tat wurde auch Bachs „Orgelmesse nach dem Dritten Theil der Clavier Übung“ aufgeführt. Hinter der originalen Bezeichnung verbirgt sich ein komplexes Werk in der alten, so genannten „Alternatim-Praxis“, die eine Reihe vom Chor gesungener Choräle in Bachs vierstimmigem Satz unmittelbar mit dessen Choralbearbeitungen für Orgel verbindet – ein spannender Blick in Bachs unglaubliches kompositorisches Können.
Choräle haben bei Bach immer besonderes Gewicht. Auch in seinen großen oratorischen Chorwerken, wie der Matthäuspassion oder dem Weihnachtsoratorium, sind es Festungen des Glaubens, der Besinnung und Betrachtung. Gleich zu Beginn ergibt sich auch hier ein dreiteiliges Kyrie mit Chorälen und deren Bearbeitung, ein Gloria „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ und dann bis zum berührenden „Verleih uns Frieden gnädiglich“ eine Abfolge weiterer Choräle, die zu Zeiten Bachs als Schatz des reformierten Kirchengesangs Allgemeingut bedeuteten, heute aber weitgehend vergessen sind. Umso wichtiger, an sie in einem idealen Ambiente wie dem Feldkircher Dom und in höchster Qualität zu erinnern.
Für Letztere ist Alexander Seidel verantwortlich, einer der profiliertesten Schweizer Chorleiter und zusätzlich als Organist und Countertenor ein Ausbund an Kompetenz in der Alten Musik. Er ist eine vergeistigte, ganz in ihrem Tun und Wollen aufgehende Persönlichkeit, dem auch in diesem Moment die stilgetreue Aufführung von Bachs Musik das Wichtigste auf der Welt bedeutet und der keine halben Sachen duldet. Allein wie er vor dem Chor am zart zirpenden Cembalo improvisierend kleine Einleitungen zu den Chorälen findet, ist faszinierend. Ebenso hat seine Handbewegung an die Chorsänger, sich zum nächsten Choral zu erheben, eine fast zeremonielle Wirkung. Diese Straffheit in der Abfolge überträgt sich auch auf den Gesang der 60 Chormitglieder von diesseits und jenseits des Rheins, die sich seit 2015 konsequent der Pflege Alter Musik widmen.
Wärme, Klarheit und Disziplin
Bemerkenswert der geschlossene, absolut homogene Klang, der auch durch eine besondere gemischte Choraufstellung mit den Männern in der Mitte und den Frauen seitlich erreicht wird, dazu die makellose Diktion, die weiten Legato-Bögen, in denen die Melodien der Choräle wie von selbst zum Fließen kommen, Wärme, Klarheit und Disziplin in den Endungen, schließlich auch die makellos saubere Intonation bei den harmonisch oft recht vertrackten Werken, die sich in den Übergängen zu den Orgelchorälen erschließt.
Die Palme für die Hälfte des Abends gehört natürlich dem Organisten. Mit dem 29-jährigen Kroaten Umberto Kostanić aus München hat man als Einspringer einen jungen Organisten zu bieten, der mit seinem Temperament, seiner Meisterschaft am Instrument alles überrennt. Er rahmt das Programm mit einem der gewaltigsten Orgelwerke Bachs ein, dem bekannten Präludium in Es-Dur zu Beginn, die dazugehörige Fuge, bei der die Orgel in einem Rausch richtig zu tanzen beginnt, folgt am Schluss. In den verschiedenartig farbigen Choralvariationen entschlüsselt Kostanić mit großer Könnerschaft in Technik, Gestaltung und Registrierungskunst Bachs gekonnte kontrapunktische Arbeit, betont dabei sorgfältig den Cantus firmus, also die Melodie des zugrundeliegenden Chorals, ohne den Gesamteindruck zu stören.
Die Domorgel, die von der Firma Metzler in Zürich und damit auch von jenseits des Rheins stammt, liefert ihm dazu ideale Möglichkeiten. Und man weiß am Schluss nicht, vor wem man die größere Hochachtung haben sollte: vor Bach, vor Seidel oder vor Kostanić. Alle drei werden jedenfalls herzlich beklatscht. JU