Ich bin maßlos in allem

Kultur / 27.11.2023 • 15:20 Uhr
Eine spannende Biografie über Christine Lavant anlässlich ihres 50. Todestages.  <span class="copyright">Wallstein</span>
Eine spannende Biografie über Christine Lavant anlässlich ihres 50. Todestages. Wallstein

Eine besondere Biografie einer ungewöhnlichen Frau: Christine Lavant.

Schwarzach Der aus dem Kleinwalsertal stammende Germanist, Mitbegründer und bis vor Kurzem Leiter des Robert-Musil-Instituts in Klagenfurt, Klaus Amann, hat sich bereits in mehreren Publikationen der Kärntner Dichterin Christine Lavant (1915-1973) gewidmet. Ihr 50. Todestag war nun für Amann der Anlass, diese singuläre Erscheinung in der österreichischen Literatur und außergewöhnliche Frau einem größeren Publikum zu erschließen. Und er tut das mit einer außergewöhnlichen Herangehensweise, die von Buchseite zu Buchseite sich steigernd für die germanistische Unternehmung und für die Person Lavant einnimmt. Einer fachlich luziden und zugleich empathischen Einführung durch den Herausgeber folgen chronologisch angeordnete Berichte, Dokumente, Kritiken und Briefe über und an die Dichterin. Damit rückt diese scheinbar weltfremde, in ihrem Äußerlichen fast hinfällige und in ihrer gesamten Erscheinung wie aus der Zeit gefallene Frau in ein neues Licht.

Christine Lavant: „Ich bin maßlos in allem.“
Christine Lavant: „Ich bin maßlos in allem.“

Sichtbar werden ihre fatalen Lebensumstände, geprägt von körperlicher und psychischer Krankheit, ihre vorsichtige Annäherung an andere Kulturschaffende, ihre anhaltend prekären Verhältnisse, ihre Förderer, Freunde und Freundinnen sowie die zunehmende Anerkennung, welche die Lyrikerin in den 1960er-Jahren erfahren durfte. So erfahren wir, dass Lavant, mit bürgerlichem Namen Christine Thonhauser, Jahrzehnte hindurch in einer Dachkammer wohnte, ihren Lebensunterhalt durch Stricken für die Bauernfamilien ihres Wohnortes St. Stefan im Lavanttal verdiente und einen Ehemann mitversorgte, der außer Lieblosigkeiten und herrischen Anordnungen wenig zum Haushalt beitrug. „Hafturlaube“ aus der Kammer gab es erst in den 1950er-Jahren, also mit zunehmender Bekanntheit, häufiger. Waren es nun Einladungen zu Lesungen, Dichter(innen)treffen oder Ehrungen, so waren es in den frühen Jahren Klinikaufenthalte. Kulturvermittler wie der benannte Innsbrucker Ludwig von Ficker förderte die Einsame, in ihrer unmittelbaren Umgebung fanden ihre Existenz, geschweige denn ihre Dichtung, wenig Beachtung.

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Mitreißendes Kernstück des Bandes bilden die Selbstzeugnisse der Dichterin. Vor allem Briefe an verschiedene Adressant(inn)en, Briefe, die von unterschiedlichen Befindlichkeiten zeugen, biografische Stationen beschreiben oder einfach Dankbarkeit für erfahrene Hilfe ausdrücken. In all diesen authentischen Zeugnissen verblüfft die Reflexionstiefe dieser nachdenklichen Frau. Und dass Lavant nicht nur als Lyrikerin, sondern uns auch als Erzählerin etwas zu sagen hat. Das Zusammentragen und Kommentieren dieser persönlichen Korrespondenz erweist sich als eine besonders verdienstvolle herausgeberische Leistung. Leider existieren kaum Briefe an die Autorin. Dieses Manko wird aber durch Texte über die Dichterin einigermaßen kompensiert. So entsteht ein sehr differenziertes Bild einer vielschichtigen Persönlichkeit, ihr Leben und Streben wird zugänglich und verständlich gemacht, ohne zu entblößen oder in die heimlichsten Reservate einzudringen. Oft explizit als Katholikin vereinnahmt, zeigen die Ego-Dokumente Christine Lavant als eine immer wieder mit Gott Hadernde, ja von ihm Verlassene („Ich weiß nicht ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?“).

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In einer kleinen und kleinlichen Welt lebend, weist ihr literarisches Schaffen weit darüber hinaus, stellt Fragen und gibt Antworten zu den Bedingungen menschlichen Seins. Friederike Mayröcker, eine andere große österreichische Lyrikerin, zeichnete in ihrem „Selfie der Christine Lavant“ in wenigen Strichen ein treffendes Bild: „hinfällig starre ich ins Rad der Zeit“. Lavants 50. Todestag könnte den Weg zu einer erneuten Beschäftigung mit dieser Wortkünstlerin öffnen. Amanns Buch ist dabei ein hilfreicher Reiseführer.

Meinrad Pichler

Christine Lavant: „Ich bin maßlos in allem.“ Biographisches, ausgewählt und kommentiert von Klaus Amann, Wallenstein Verlag 2023, 455 Seiten