„Wollen weiterhin Grenzen überschreiten“

Martin Gruber zum 35-jährigen Jubiläum und zur Uraufführung von „Alles Normal – Ein Salon d’amour Stück“.
BREGENZ 2024 feiern Martin Gruber und sein Aktionstheater Ensemble ihr 35-jähriges Bühnen-Jubiläum. Als ersten Vorgeschmack wird ihre neueste Uraufführung „Alles Normal“ am Spielboden Dornbirn präsentiert. Im VN-Interview spricht Gruber über die Entwicklung des Ensembles, die Idee zur neuen Produktion und die Bedeutung des Theaters in der heutigen Gesellschaft.
Herr Gruber, 35 Jahre auf der Bühne sind eine beeindruckende Leistung. Können Sie uns einen Einblick geben, wie sich das Aktionstheater in dieser Zeit entwickelt hat?
Gruber Die Entwicklung des Aktionstheaters war eine Reise von der klassischen Inszenierung hin zu einer modernen, zeitgenössischen Bühnenkunst. Anfangs konzentrierten wir uns auf Klassiker und Werke der Moderne, wobei ich stets versuchte, diese Stücke neu zu interpretieren und gegen den Strich zu bürsten. Ab 2006 begann eine neue Ära, in der wir eigene Stücke kreierten, die sich durch postdramatische Elemente und eine starke Verankerung im Jetzt manifestieren. Ein Schlüsselaspekt unserer Arbeit ist die Authentizität und Individualität der Sprache, die wir durch die persönliche Ansprache der SchauspielerInnen erreichen. Dieser Ansatz hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen, da er beim Publikum eine starke Resonanz findet.
Gab es Produktionen, auf die Sie im Rückblick besonders stolz sind?
Gruber Jedes Stück hat seine Zeit und Bedeutung. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die frühen Arbeiten wie die Büchner Trilogie, die einen wichtigen Grundstein für unsere Arbeit legten. Auch die ersten eigenen Produktionen markierten einen wichtigen Wendepunkt. Ein persönliches Highlight war unsere Aufführung dieses Jahr in London, die uns zeigte, wie universell unsere Botschaften und unser Humor sind, selbst wenn sie in einer anderen Sprache präsentiert werden.
Wie kamen Sie auf die neue Produktion „Alles Normal“?
Gruber „Alles Normal“ entstand aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Konzept der Normalität. In einer Zeit, in der politische Kräfte versuchen, Menschen nach einer vermeintlichen Norm zu kategorisieren, ist es wichtiger denn je, diese Ideen zu hinterfragen. Das Stück ist eine Reflexion darüber, wie gefährlich es ist, Menschen in Schubladen zu stecken, basierend auf einer willkürlichen Definition von Normalität. Wir wollen aufzeigen, dass die wahre Stärke der Menschheit in ihrer Vielfalt liegt.
Was können wir uns auf der Bühne erwarten?
Gruber Das Publikum kann eine provokative, herausfordernde Darstellung erwarten, die die Idee einer von der extremen Rechten dominierten Gesellschaft spielerisch aufgreift. Wir versuchen, ein „normales“ Programm zu präsentieren, was hoffentlich in einem kreativen Chaos endet. Das Stück ist eine satirische Auseinandersetzung mit dem absurden Diskurs über Normalität und eine Fortführung des dynamischen und vielfältigen Stils des Salon d’amour.
Nach 35 Jahren, was sind denn die Visionen für die Zukunft?
Gruber Die Zukunft des Aktionstheaters liegt in der ständigen Neuerfindung und Hinterfragung des Theaters selbst. Wir wollen weiterhin Grenzen überschreiten und neue Wege in der darstellenden Kunst erkunden. Dabei ist es mir wichtig, dass wir uns nicht kommerziellen Zwängen unterwerfen, sondern treu zu unseren künstlerischen Visionen stehen. Wir wollen ein Theater schaffen, das das Publikum intellektuell herausfordert und gleichzeitig eine tiefe Verbindung zu ihm aufbaut.
Wie sehen Sie die Rolle des Theaters in der heutigen Gesellschaft?
Gruber Theater ist mehr als Unterhaltung; es ist ein Spiegel der Gesellschaft und ein Medium für sozialen und politischen Diskurs. In einer Welt, die zunehmend von Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit geprägt ist, bietet das Theater einen Raum für tiefgründige Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Themen. Unsere Aufgabe als Kunstschaffende ist es, diese Diskurse anzustoßen und beim Publikum Denk- und Fühlprozesse auszulösen.
Wie hat sich die Beziehung zum Publikum im Laufe der Jahre verändert?
Gruber Die Beziehung zum Publikum hat sich im Laufe der Jahre intensiviert. Früher waren wir mehr darauf fokussiert, unsere künstlerische Vision zu präsentieren. Heute suchen wir den Dialog mit dem Publikum, um eine tiefere Verbindung und ein besseres Verständnis zu schaffen. Wir sehen unser Publikum als aktiven Teil des kreativen Prozesses und schätzen seine Vielfalt und Intelligenz. Aber noch wichtiger als der Intellekt oder das intellektuell Greifbare ist es, für das Publikum Räume zu eröffnen, die wir mit Worten nicht fassen können. VN-AMA

Premiere „Alles Normal – Ein Salon d’amour Stück”: 5. Dezember, 20 Uhr; Weitere Spieltermine: 7., 8., 9. Dezember, 20 Uhr, Spielboden Dornbirn