Alles normal, völlig normal

Aktionstheater Ensemble präsentierte im Spielboden sein neuestes Stück „Alles Normal“.
Dornbirn Für das Aktionstheater Ensemble war der „Normalen-Sager“ der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ein aufgelegter Elfmeter. „Wer bestimmt, wer ‚normal‘ ist und wer nicht?“, fragte Bundespräsident Alexander van der Bellen in seiner Eröffnungsrede dieses Jahres bei den Bregenzer Festspielen und brachte seine Kritik bezüglich des „Normalen-Sagers“ auf den Punkt: „Wir, das sind die ‚normalen‘, das sind ‚unsere Leute‘, das ist ‚das Volk‘. Wer oder was sind dann ‚die anderen‘?“
Das Aktionstheater machte aus dieser ganzen Debatte um die österreichische Normalität ein dynamisches Stück, mit viel Bewegung, viel Sound und viel einzelnen Textbausteinen, von denen die einen oder anderen durchaus etwas mehr an Schärfe, etwas mehr an Zynismus und etwas mehr an Tiefgang, auch ein Mehr an politischer Ethik vertragen hätten.
Salon-d‘Amour-Format
Martin Gruber bediente sich bei „Alles Normal“ bewusst des Prinzips seines von ihm und Martin Oyster u. a. entwickelten Salon- d’Amour-Formats: „ungezwungene Lounge-Atmosphäre, wo jeder seinen Senf dazugeben darf“. Einige der Akteurinnen des Stücks bedienen das Publikum, welches es sich nicht nur auf der Tribüne, sondern auch auf der Bühne auf Stühlen bequem macht, mit Erfrischungen. Auf einem bleichen lachsrosafarbenen Catwalk werden die Zuschauer quer über die Bühne zu ihren Sitzmöglichkeiten geleitet. Das Stück beginnt mit einem energetischen Intro des Salonorchesters und zugleich mit einer keineswegs rhetorischen Frage von Babett Arens, die als Conférencière durch den gut eineinhalbstündigen, äußerst kurzweiligen Abend führt: „Wie machen die Künstlerinnen, die Theatermenschen, die Literaten, die bildenden und darstellen Künstlerinnen unter einem ,Volkskanzler‘ weiter, wenn nächstes Jahr die Wahlen sind?“ Das Teil ist in Stellung gebracht, die Lunte gezündet, das Ding kann abheben und über, oder besser in den Köpfen der Zuschauer explodieren. Hierfür sorgen vor allem die Darstellerinnen Zeynep Alan, Michaela Bilgeri, Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Elias Hirschl und die schon erwähnte Babett Arens, die alle gekonnt in bester Aktionstheater-Manier zwischen zur Schau gestellter Unbedarftheit, absoluter Teilnahmslosigkeit und Selbstverliebtheit bis zum Überdruss changieren und einer Schraube gleich, sich in immer tiefere Schichten der österreichischen Seele hineinbohren und zu Tage fördern, was latent unter der in Schönbrunner Gelb glänzenden österreichischen Fassade schlummert.
Nerv der Zeit getroffen
Der große österreichische Neurologe und Suizidforscher Professor Erwin Ringel traf mit seinem Befund zur österreichischen Seele, wie schon vor ihm Helmut Qualtinger und Carl Merz in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts und nach ihm Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek in den 1960ern bis heute, den Nerv der Zeit. Er las seinen Landsleuten erbarmungslos die Leviten. „Die Österreicher, polterte der Polemiker und unbequeme Mahner, sind ein Volk von Neurotikern … denn die Erziehungsziele des Österreichers sind Gehorsam, Höflichkeit, Sparsamkeit – und daraus leitet sich die Bereitschaft zu devotem Dienen und zum vorauseilenden Gehorsam ab“, so der Historiker Friedrich Weissensteiner.
„Es ist normal, wenn einem die Hand ausrutscht, es ist normal jemandem ein Holzscheit über den Schädel zu ziehen, es ist normal zu heiraten und dann nach sechs Monaten ein Kind zu gebären, es ist normal, Kinder mit Hausmannskost zu ernähren, es ist normal, wenn man besoffen fährt“ … so deklamiert Elias Hirschl im Stück seinen „Ganz-Normalo-Österreich-Katalog“.
„Man erntet, was man sät“
Wie sagte Herr Herbert K. auf seiner „Heimattour“: „Es wird rauschen, es wird Verletzungen und Verwundungen geben, es wird ein anderer Wind wehen in diesem Land“, zu lesen auf den seitlich und im Bühnenhintergrund angebrachten Videowalls. Dem kann man nur Lou Reeds „Perfect Day“, das schönste Lied, das je ein Musiker für den vollkommensten Tag geschrieben hat, entgegenhalten: „You’re going to reap just what you sow – man erntet, was man sät“. Der biblische Prophet Hosea im Alten Testament wusste damals schon: „Denn die säen Wind und werden Sturm ernten.“ Man könnte auch mit dem Regisseur Martin Gruber, der ein seismologisches Gespür für jegliche ideologischen Verwerfungen hat, fragen: „An welchen komischen Haltegriffen klammern wir uns fest, während um uns herum alles zusammenbricht?“ Langanhaltender Applaus. THS
Weitere Aufführungen: 7.12, 8.12., 9.12. um 20 Uhr, Spielboden Dornbirn, www.aktionstheater.at