Ein Kraftakt mit Bruckner

Die Chorakademie Vorarlberg unter Markus Landerer machte die e-Moll-Messe zum Bekenntnis.
FELDKIRCH Die Chorakademie Vorarlberg hat seit 2008 eine Reihe großer, schwer bezwingbarer Werke der Sakralmusik aus Jahrhunderten in oft mustergültigen Interpretationen erarbeitet. Markus Landerer war dafür als Kenner und Könner der Aufführungspraktiken die unangefochten wegweisende Lichtgestalt, der stets wusste, was er seinen Sängerinnen und Sängern zumuten konnte. Noch nie aber hat er sie so bis in ihre Grenzbereiche gefordert wie beim aktuellen Projekt mit der e-Moll-Messe des Jahresregenten Anton Bruckner, die am Wochenende in zwei Konzerten in der Kapelle der Stella Privathochschule zum Kraftakt wurde.

Zu Bruckners 200. Geburtstag wollte man nicht kleckern, sondern klotzen. Die 1869 uraufgeführte Nr. 2, die schwierigste seiner drei großen Messen, ist zweifellos ein Spitzenwerk der Kirchenmusik, das in seiner eigenwilligen Schönheit und melodiösen Kargheit aber auch etwas von der Persönlichkeit dieses eigentümlichen Sonderlings verrät. Die Messe ist schwer zu singen, schwer zu musizieren und auch nicht eben leicht zu verstehen, ganz im Gegensatz zu seinen später entstandenen großen Symphonien mit ihrer prächtigen Klang-Architektur, an denen sich viele Besucher wohl zuvor orientiert hatten, weil sie heute zum Allgemeingut unseres musikalischen Alltags gehören.
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Da dämmert in der spätromantisch chromatisch aufgebrochenen Harmonik bereits das kommende 20. Jahrhundert herauf, der Komponist verzichtet auf Solisten, verlangt aber einen Doppelchor mit vielfach achtfacher Stimmführung.

Zudem ist der instrumentale Dialog des 100-köpfigen Chores einem gerade 15-köpfiges Holz- und Blechbläserensemble anvertraut, trotzdem gibt es keinerlei Balance-Probleme. „Harmoniemusik“ nannte man das damals, wofür von der Sinfonietta Vorarlberg die allererste Garnitur aus der Region aufgeboten wurde.
Markus Landerer gesteht in einer kurzen Einführung, dass selbst abgebrühte internationale Profichöre sich kaum an dieses Werk mit seinen extrem heiklen Aufgaben wagen. Als besondere Herausforderung bleibt der Chor mehrmals über weite Strecken ganz ohne Instrumentalbegleitung und Stütze, also A-Capella. Das sind dann jene Herzschlag-Momente, die auch in einem durchaus sportlichen Sinne zu verstehen sind. So wie am Hahnenkamm die Skifahrer um Meter und Sekunden für den Sieg kämpfen, tun dies die Chorleute hier um Millimeter von Tonschwingungen in ihrer Intonation. Die leiseste Abweichung von der absoluten Sauberkeit wird sofort unbarmherzig entlarvt, wenn das Orchester wieder einsetzt und die Stimmung im Eimer ist.

Es wäre vermessen, hier von einem semiprofessionellen Chor absolute Perfektion in der Erreichung dieser Vorgaben einzufordern, aber es wurde das unter diesen Umständen erwartbare hohe Niveau der Darbietung erreicht, im Sanctus sogar übertroffen. Der enorme Einsatz mit einer fast halbjährlichen Probenzeit hat sich also ausgezahlt. Auch sonst imponiert der Chor unter Landerers zwingend klarem Dirigat in den vielen hoch gesetzten Passagen und den vielfältigen Anforderungen des Werkes als leicht bewegliche Einheit von großer Geschlossenheit. So wird auch die komplexe Doppelfuge des „Amen“ im Gloria zum starken Zeichen der Glaubenskraft und religiösen Hoffnung in einer Zeit der Krisen und Kriege.
Nicht ganz glücklich gewählt ist zur Einleitung mit dem populären „Gloria“ des Briten John Rutters ein zwar effektvolles, aber inhaltlich doch recht leichtgewichtiges Stück fetzigen Kirchen-Pops mit Bernstein-Anklängen.

Mit großem Orchester, rhythmisch stark akzentuiert und mit viel Jazzfeeling erweckt es beim Publikum irgendwie doch falsche Erwartungen, die darauf mit der sperrigen Brucknermesse in ihrem theologischen Tiefgang nicht erfüllt werden. Vielleicht deshalb auch bleibt der Schlussapplaus inklusive Standing Ovations zwar herzlich, gegenüber früheren Jahren aber doch deutlich zurückhaltender.
FRITZ JURMANN