Das scheinbar Nebensächliche entdecken

Kultur / 13.03.2024 • 14:23 Uhr
Manfred Bockelmann
Die Ausstellung „Das Sterben der Blätter“ von Manfred Bockelmann ist noch bis zum 14. September in Hohenems zu sehen. andreas marte

Interview mit Manfred Bockelmann (80), Maler und Fotograf.

Hohenems In der Arche Noah in Hohenems präsentiert der Künstler Manfred Bockelmann, Bruder des 2014 verstorbenen Udo Jürgens, seine Ausstellung „Das Sterben der Blätter“. Bis zum 14. September 2024 können Besucher seine Werke bestaunen, die sich auf eindrucksvolle Weise mit den feinen Nuancen der Natur auseinandersetzen.

Manfred Bockelmann
Der Maler ist fasziniert von der Vergänglichkeit der Blätter. andreas marte

Frage: Ihre Ausstellung steht unter dem Motto „Das Sterben der Blätter“. Warum?
Bockelmann: „Das Sterben der Blätter“ ist für mich mehr als nur ein Titel – es ist ein zentrales Thema, das mich seit Jahren beschäftigt. In unserer schnelllebigen Gesellschaft tendieren wir dazu, die feinen Details und die stille Schönheit der Natur zu übersehen. Besonders im Herbst, wenn die Blätter fallen, sehen viele Menschen darin eher eine Unannehmlichkeit als ein Wunder der Natur. Diese Blätter, jedes einzigartig in seiner Form und Geschichte, liegen am Boden, verändern ihre Form, rollen sich ein, und genau diese Veränderung fasziniert mich.

Manfred Bockelmann
“Die Darstellung der Blätter, die sich einrollen und verkrümmen, erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit dem Objekt.” andreas marte

Sie symbolisieren für mich nicht nur das Ende eines Lebenszyklus, sondern auch die ständige Präsenz von Verwandlung und Vergänglichkeit in unserer Welt. Die Darstellung der Blätter, die sich einrollen und verkrümmen, erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit dem Objekt. Es ist diese Herausforderung, die mich künstlerisch antreibt. Für mich war es immer wichtig, das scheinbar Nebensächliche zu entdecken, weil nicht das offensichtlich Grandiose das wahre Grandiose ist. Ich möchte den Menschen zeigen, dass das Paradies in ihrer eigenen Wiese vor dem Haus liegt. Man muss nur genau hinschauen.

Manfred Bockelmann
Bockelmann möchte den Betrachter anregen, über die traditionellen Assoziationen von Alter und Vergänglichkeit hinauszudenken. andreas marte

Wollen Sie das Alter auch als etwas Schönes darstellen?
Bockelmann: Absolut. Die Wahl, die Blätter in Blau darzustellen, anstatt in ihren natürlichen Herbstfarben, soll die Betrachter dazu anregen, über die traditionellen Assoziationen von Alter und Vergänglichkeit hinaus zu denken. Blau, als Farbe des Lebens und der Unendlichkeit, symbolisiert für mich Heilung und Hoffnung. Es erinnert uns daran, dass jedes Ende auch einen Neuanfang darstellen kann. Mit der unkonventionellen Farbgebung meiner Werke möchte ich die Schönheit des Alters, des Vergehens hervorheben und zeigen, dass in jedem Abschied auch eine eigene Schönheit und Würde liegt. Es geht mir darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Alter und Vergehen natürliche Bestandteile des Lebenszyklus sind, die es zu würdigen und nicht zu fürchten gilt.

Manfred Bockelmann
Das Zeichnen wurde für den Künstler zu einem Weg, die Welt neu zu entdecken. andreas marte

Sie kommen aus der abstrakten Malerei. Wie sind Sie zum Zeichnen gekommen?
Bockelmann: Die Malerei hat mir viele Jahre lang ein Zuhause geboten, einen Ort der Stille und Reflexion. Doch mit der Zeit verspürte ich das Bedürfnis nach einem direkteren, unmittelbaren Ausdrucksmittel. Der Wechsel vom Pinsel zur Kohle wurde durch das alltägliche Leben inspiriert – ein auf dem Boden liegender Bademantel, dessen Falten und Schatten mich an abstrakte Landschaften erinnerten. Dieser Moment der Erkenntnis, dass die Zeichnung mir neue Wege eröffnen könnte, meine Sicht auf die Welt auszudrücken, war entscheidend. Zeichnen erlaubt mir, eine andere Art von Präzision und Detailtreue zu erreichen. Es fordert mich heraus, die Komplexität und Schönheit der scheinbar einfachen Dinge des Lebens einzufangen. Das Zeichnen wurde zu einem Weg, die Welt neu zu entdecken und zu interpretieren, ein Medium, das es mir ermöglicht, die Feinheiten und Nuancen der Natur auf eine Art und Weise zu erforschen, die mit der Malerei so nicht möglich war.

Das scheinbar Nebensächliche entdecken
“Zeichnen gegen das Vergessen“ ist ein Projekt, das Bockelmann besonders am Herzen liegt. andreas marte

Es gibt ja noch ein weiteres Projekt, das Ihnen sehr wichtig ist.
Bockelmann: „Zeichnen gegen das Vergessen“ ist ein Projekt, das mir besonders am Herzen liegt. Seit über einem Jahrzehnt widme ich mich der Aufgabe, die Erinnerung an die Kinder und Jugendlichen wachzuhalten, die im Holocaust ihr Leben lassen mussten. Diese Porträts basieren auf Fotografien, die kurz vor bzw. am Beginn ihrer Ankunft in Auschwitz entstanden sind. Jedes Bild erzählt die Geschichte eines unschuldigen Lebens, das viel zu früh beendet wurde. Durch meine Arbeit möchte ich diesen Kindern ihre Individualität und Menschlichkeit zurückgeben, die ihnen in den Konzentrationslagern genommen wurde. Es ist mir ein Anliegen, durch meine Zeichnungen ein Bewusstsein für diese tragischen Schicksale zu schaffen und einen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten. Diese Porträts sind mehr als nur Kunstwerke – sie sind Mahnmale, die uns daran erinnern, wohin Hass und Intoleranz führen können. Mit „Zeichnen gegen das Vergessen“ hoffe ich, einen kleinen Teil dazu beitragen zu können, dass die Erinnerung an diese dunklen Kapitel unserer Geschichte lebendig bleibt.

Manfred Bockelmann „Das Sterben der Blätter“

ARCHE NOAH, Sammlung Kunst & Natur

Öffnungszeiten: Freitag, 11-18 Uhr und Samstag, 11-17 Uhr

Bäumler Park