„Sollte es hier nicht nach Schokolade riechen“

Kultur / 30.06.2024 • 15:14 Uhr
Walkt Tanztheater
Lustenau und Au – die Geschichte zweier Gemeinden, die nur durch den Rhein getrennt sind. sarah mistura

Brigitte Walk präsentierte das umjubelte Tanztheaterstück „Grenzgänge und der Rhein“ in Au und Lustenau.

lustenau Eine wunderbare Geschichte entfaltet sich: die Geschichte zweier Gemeinden, Grenzorte, einander gegenüber, nur durch den Rhein getrennt. Hüben und drüben? Lustenau und Au. Brigitte Walk hat mit einem sehr engagierten Team, das sich monatelang mit dem Thema auseinandergesetzt hat, ein Tanztheaterstück geschaffen, in dem an verschiedenen Orten gespielt, getanzt, gesungen, gezaubert wird.

Walkt Tanztheater
Cowboyhütten und Westernstiefel in allen erdenklichen Farben von tieflila bis zartrosa, bizarr, schrill und zeitlos. sarah mistura

Eine reiche Investorin aus Wien, hervorragend verkörpert von Undine Schneider als Frau Haselbrunner, kommt in die Schweiz, um ihr Geld auszugeben, aber sie will nur dort investieren, wo es „nach Schokolade riecht“, wo es Kühe, Berge und einen „Ziegenpeter“ gibt. Der Text zu diesem Stück stammt von Amos Postner, und unwillkürlich drängen sich Parallelen zu Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ auf. An ihrer Seite der ebenso großartige, umtriebige Casanova Don Juan Edi, verkörpert von Suat Ünaldi, der mit allen Mitteln versucht, Frau Haselbrunner davon zu überzeugen, dass ihr Geld hier in der Au gut angelegt ist.

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Ein beeindruckendes Stück, mit viel Herzblut inszeniert. sarah mistura

Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Getragen wird das Stück immer wieder von diversen Gesangseinlagen, hinreißend und stimmgewaltig die als Harlekin verkleidete Sarina Weber und ihr kongenialer Partner Raphael Brunner am Akkordeon. Ob “The Lion Sleeps Tonight” oder die Interpretation von Ennio Morricones Thema aus “The Good, the Bad and the Ugly” auf dem Akkordeon bis hin zu Johannes Brahms’ Lied “Da unten im Tale”, eine stimmige Darbietung. Eine Augenweide sind auch die beiden Tänzerinnen Mara Natterer und Elenita Queiroz.

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Der Text von Amos Postner hätte etwas mehr historische Fakten vertragen. sarah mistura

In der durchdachten Choreographie von Regisseurin Brigitte Walk, ob mit angedeuteten Schwimmbewegungen, als Flößer oder als kämpferische Schwingerinnen (Nationalsport der Schweiz), fügten sie sich perfekt ins Bild. Der ca. 25-köpfige Chor aus Au und Lustenau meisterte seine Einlagen, ob in Line Dance Formation oder als Chor, mit Bravour. Wunderschön die Kostüme der gesamten Crew (Ausstattung: Sandra Münchow/Schneiderei: Bettina Henning) Cowboyhütte und Westernstiefel wohin das Auge reicht, in allen erdenklichen Farben von tieflila bis zartrosa, freakig, schrill und zeitlos.

Walkt Tanztheater
Wunderschön die Kostüme der gesamten Crew (Ausstattung: Sandra Münchow/Schneiderei: Bettina Henning). sarah mistura

Der Text von Amos Postner hätte durchaus etwas mehr „Tiefenschärfe“ vertragen, etwas mehr historische Fakten, vor allem was die Beziehungen der einzelnen Bewohner dieser beiden Grenzorte untereinander und die „Dorfgeschichten“ betrifft, die man sich immer wieder erzählt. Unter anderem wird in kurzen Passagen auf das Kerosinunglück von 1988 in Au hingewiesen, auf die Bordelle (wo gehen die Vorarlberger hin?), dass von Au aus „Red Bull“-Dosen in die ganze Welt verschickt werden und „eigentlich ist das hier das Silicon Valley, die Leute wissen es nur nicht“, klagt Edi, aber auch der Ukraine-Krieg wird nicht ausgespart.

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Nach etwa 75 Minuten wird das Publikum in einen Bus gebeten, der über die Grenze nach Lustenau fährt. Auf der Fahrt dorthin hört man vom Band Zeitzeugen aus Lustenau erzählen, wie es damals war, mit Schmuggel, Verkehrsbelastung und vielem mehr.

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Dort am Rheindamm bzw. auf der Dammkrone angekommen, sieht man ein Schlauchboot auf dem Rhein mäandern. Darin neben den Wasserrettungskräften Frau Haselbrunner und die Sängerin, die ihren Text bzw. Gesang unbeeindruckt von den widrigen Umständen des Hochwasser führenden Rheins fortsetzen. Ein beeindruckendes Stück, mit viel Herzblut inszeniert, ging zu Ende, die Mitwirkenden konnten gerade noch vom anwesenden Publikum beklatscht werden, just in diesem Moment setzte der Regen ein.

Thomas Schiretz

Grenzgänge und der Rhein

Ein performativer Spaziergang zwischen hüben und drüben

Inszenierung: Brigitte Walk

Vorstellungen: 3., 4., 5., 11. Juli bzw. Ausweichtermine

www.walktanztheater.com