Tanz und Verzweiflung für Jedermann

Umjubelte Neuinszenierung rund um Philipp Hochmair bei den Salzburger Festspielen.
Salzburg Eine scheinbar endlose Menschenmenge strömt zu Orgelklängen aus dem Dom und formiert sich wie ein antiker Chor, um die einleitenden Verse zu zitieren. Diese Eröffnung gibt den Ton an für eine Inszenierung, die sowohl die Masse als auch den Einzelnen in den Mittelpunkt stellt.

Die Inszenierung von Robert Carsen legt einen starken Akzent auf Massenszenen, die an Musicals des 20. Jahrhunderts erinnern. Carsen gelingt es, die große Zahl der Akteure auf der Bühne wirkungsvoll zu orchestrieren und ihnen gleichzeitig individuelle Präsenz zu verleihen. Die Choreographien von Rebecca Howell sind flott und mitreißend und verleihen dem Stück eine dynamische Note. Geschickte Inszenierung und präzise Bewegungsabläufe unterstreichen die Energie und Lebendigkeit der Szenen und verleihen der Aufführung eine mitreißende Dynamik.
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Carsen nutzt die Massenszenen nicht nur als optische Höhepunkte, sondern auch, um die thematische Tiefe des Stückes zu verstärken, indem er die Kluft zwischen Jedermann und der Gesellschaft eindrucksvoll visualisiert; seine Inszenierung schafft eine Balance zwischen großem Spektakel und intimen Momenten. Sehr unterhaltsam sind die Szenen der Tischgesellschaft, in denen Jedermann seine Freunde zu einem Fest in Clubatmosphäre einlädt. Hochmair und Piasko tanzen an einem der sieben runden Tische einen flotten Tango, während Lukas Vogelsang als dicker Vetter eine Gesangseinlage gibt.

Philipp Hochmair beeindruckt als Jedermann durch seine einzigartige Sprechweise und intensive Bühnenpräsenz. Hochmair, der 2018 kurzfristig für den erkrankten Tobias Moretti eingesprungen war, bringt eine außergewöhnliche Verletzlichkeit in seine Darstellung.

Zu Beginn braucht er ein wenig Zeit, um sich in die Rolle hineinzufinden und wirkt daher zunächst etwas zurückhaltend. Doch je länger das Stück dauert, desto mehr entfaltet er seine schauspielerische Kraft. Besonders in den einsamen Szenen, in denen Jedermann mit seiner Verzweiflung und Verlassenheit kämpft, zeigt Hochmair sein beeindruckendes Können. Seine Darstellung wird im Laufe des Stückes immer intensiver, reflektierter und zerbrechlicher, was ihm am Ende zu Recht Standing Ovations einbringt.

Dominik Dos-Reis als Tod setzt ebenfalls eindrucksvolle Akzente. Als Ministrant tritt er aus der Kathedrale und verkündet, er sei gesandt worden, um Jedermann zu holen. Die über 80 Mitspieler auf dem Domplatz, die sich zuvor als glitzernde Partygesellschaft präsentiert haben, fliehen in Panik, als der Tod seine Identität preisgibt.

Der Teufel (Christoph Luser, der auch den guten Gesellen spielt) muss rasch erkennen, dass in diesem Setting nichts zu holen ist. Als er die Seele des Sünders fordert, wird er mit Stromstößen am Betreten der Kathedrale gehindert. Beleidigt wendet er sich dem Publikum zu, seine Augen leuchten höllisch rot.

Die Frauenrollen sind in dieser Inszenierung besonders stark besetzt und tragen wesentlich zum Erfolg des Stückes bei. Dörte Lyssewski beeindruckt sowohl als armer Nachbar als auch in der Rolle der Werke, die Jedermann zur Läuterung führt, durch ihre starke Bühnenpräsenz und ihr feines Gespür für den Text. Deleila Piasko verleiht der Buhlschaft eine Leichtigkeit und Lebendigkeit, die in starkem Kontrast zu Jedermanns zunehmender Verzweiflung steht. Andrea Jonasson überzeugt als Jedermanns Mutter mit ihrer wunderbar distinguierten Sprache, und Regine Zimmermann setzt als Reinigungskraft einen markanten Kontrast zur luxuriösen Festgesellschaft und verleiht mit ihrer symbolischen Fußwaschung Jedermanns die sonst unterdrückte spirituelle Dimension.

Carsens Inszenierung konzentriert sich besonders auf Jedermanns Irrungen und Wirrungen und seine Selbsterkenntnis. Statt die Begegnungen mit den Personifikationen wie Glaube, Werke und Mammon in schrillen Zuspitzungen enden zu lassen, reift Jedermann in dieser Inszenierung zur Selbsterkenntnis. Der Trubel und die Partyszenen kontrastieren mit den ruhigen Momenten der Selbstreflexion und Läuterung Jedermanns.

Die Schlussszene, in der Jedermann, begleitet von einer Gesellschaft in weißen Büßerhemden, in die Gruft hinabsteigt, ist sowohl visuell als auch gefühlsmässig ergreifend. Statt wie in der Vergangenheit die Himmelsleiter zu erklimmen, steigt Jedermann im Jahr 2024 in ein kaltes Grab, begleitet vom großen Chor einer geläuterten Gemeinschaft.