Matinee mit Weinberg und Bruckner

Kultur / 31.08.2025 • 11:28 Uhr
Wiener Philharmoniker · Welser-Möst 2025: Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst
Weinbergs Zweite, 1946 in Moskau entstanden, stand am Beginn des Vormittags. SF/Marco Borelli

Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst brillierten bei Salzburger Festspielen.

Salzburg Es gehört zu den glücklichen Konstellationen eines Festivals, wenn das Programm nicht nur zwei Werke von äußerster Gegensätzlichkeit vereint, sondern zugleich eine innere Dramaturgie entfaltet, die vom konzentrierten, herben Klang eines Streichorchesters bis hin zur monumentalen Klangkathedrale reicht. Genau dies gelang den Wiener Philharmonikern unter Franz Welser-Möst am Samstagvormittag: ein eindrucksvolles Konzert, das Mieczysław Weinbergs Zweite Symphonie für Streichorchester mit Anton Bruckners Neunter Symphonie in d-Moll verband.

Weinbergs Zweite, 1946 in Moskau entstanden, stand am Beginn des Vormittags. Schon die ersten Takte machten deutlich, dass Welser-Möst hier nicht auf expressive Dramatik setzte, sondern auf kammermusikalische Klarheit und Durchhörbarkeit. Die Wiener Philharmoniker, berühmt für ihren satten Streicherklang, fanden zu einer beinahe spröden, disziplinierten Linie, die den düsteren Unterton der Musik nicht beschönigte.

Wiener Philharmoniker · Welser-Möst 2025: Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst
Es war ein eindrucksvolles Konzert, das Mieczysław Weinbergs Zweite Symphonie für Streichorchester mit Anton Bruckners Neunter Symphonie in d-Moll verband.

Im Allegretto leuchtete eine tänzerische Geste auf, die Welser-Möst allerdings stets unter Spannung hielt, als könne der Frohsinn jederzeit ins Brüchige kippen. Das Adagio, der zentrale Satz, klang wie ein schwebendes Klagelied, getragen von langen, melancholischen Phrasen, die fast wie Erinnerungen aus einer anderen Welt wirkten. Gerade hier bewies das Orchester seine Fähigkeit, den Ton zurückzunehmen, in der reinen Linie zu verweilen und eine fragile Intimität entstehen zu lassen. Das Finale, ein unruhiges Allegro moderato, vereinte schließlich Drang und Hemmung, Aufbruch und Resignation – ein musikalischer Ausdruck von Überleben und Beharren, der tief in die Geschichte des 20. Jahrhunderts hineinweist.

Weinberg wurde an diesem Vormittag als eigenständige Stimme wahrgenommen, deren Musik gleichermaßen von Verletzlichkeit wie von Widerstandskraft lebt.

Wiener Philharmoniker · Welser-Möst 2025: Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst
Welser-Möst erwies sich dabei als Interpret, der Bruckner nicht monumentalisiert, sondern die Architektur aus der Struktur wachsen lässt.

Nach der Pause folgte der große Schritt: Bruckners 9. Sinfonie, sein unvollendetes Vermächtnis. Schon der Beginn des ersten Satzes, diese geheimnisvolle Klangfläche aus Tremoli und dissonanten Bläserakkorden, wurde von Welser-Möst so geformt, dass sie wie aus der Ferne heraufstieg. Keine Schwere, kein Dröhnen, vielmehr ein gleichsam atmender Klang, der sich stetig verdichtete.

Welser-Möst erwies sich dabei als Interpret, der Bruckner nicht monumentalisiert, sondern die Architektur aus der Struktur wachsen lässt. Er formte die großen Bögen, ließ Themen organisch ineinander übergehen und verhinderte jede Überwältigungsrhetorik. Das Scherzo des zweiten Satzes, in seiner unbarmherzigen Motorik oft als dämonisch gedeutet, geriet hier zu einem unheimlichen Tanz, scharf und kantig, doch ohne Brutalität. Das Trio mit seiner grotesken Leichtigkeit wurde klar konturiert und kehrte fast ironisch ins Dämonische zurück.

Der Höhepunkt lag jedoch im Adagio. Hier öffnete sich eine fast halbstündige Klangwelt, die Erschütterung und Trost in sich barg. Die Streicher entfalteten lange Kantilenen, die wie Gebete wirkten; die Bläser setzten eruptive Kontraste, und am Ende verhallte der Klang in leuchtenden, entrückten Akkorden – wie ein letzter Blick in eine andere Sphäre. Es war, als habe Welser-Möst die Widmung “dem lieben Gott” wörtlich genommen und mit größter Ernsthaftigkeit in Musik übersetzt.

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Der oberösterreichische Dirigent Franz Welser-Möst, dessen Karriere seit Jahrzehnten international verankert ist, zeigte sich hier als Künstler, der jenseits aller Gesten auf Authentizität setzt. Er ließ die Musik sprechen, vertraute auf ihre Struktur, ihre Spannungen und ihre spirituelle Dimension.

Die Salzburger Festspiele haben mit diesem Konzert gezeigt, dass eine Programmkonstellation zweier so unterschiedlicher Sinfonien keine Brüche hervorruft, sondern in einen Dialog tritt. Weinbergs Zweite, das Werk eines verfolgten und doch unbeugsamen Komponisten, und Bruckners Neunte, das Testament eines tief gläubigen Künstlers, verschmolzen in der Interpretation von Welser-Möst und den Wiener Philharmonikern zu einer dichten, berührenden Erfahrung. Es war ein

Konzert, in dem sich Musikgeschichte, Gegenwart und Spiritualität zu einem einzigen großen Klangereignis verbanden. Zum Schluss gab es minutenlange Standing Ovations des zu Recht begeisterten Publikums.