Die Klavier-Schamanin

Elisabeth Leonskaja eröffnet die Schubertiade in Schwarzenberg
Schwarzenberg Wer wollte, konnte am Samstagvormittag im Kleinen Dorfsaal einen Klassiktreffpunkt mit Elisabeth Leonskaja und Konstantin Krimmel verfolgen, bei dem Leonskaja auch auf ihren Mentor Svjatoslav Richter zu sprechen kam, der mit Benjamin Britten vierhändig Schuberts Grand Duo eingespielt hat. Nach den besonderen Qualitäten dieser Aufnahme gefragt, antwortete Leonskaja: „Musikantentum und Freiheit“. Diese beiden Eigenschaften vereint die legendäre Pianistin, die seit 1985 nun schon ihren zwanzigsten Auftritt bei der Schubertiade feiert, auch in ihrem Spiel, nur dass bei ihr noch etwas Besonderes dazukommt.

Das Programm des nachmittäglichen Konzertes umfasste Schuberts weniger bekannte Klaviersonate in a-Moll, D 537, die Drei Klavierstücke, D 946 und die spätere, von Schubert selbst sehr geschätzte a-Moll-Sonate, D 845. Leonskaja betritt das Podium und beginnt ohne Umschweife mit D 537, einem Jugendwerk: kraftvoll drängend der Beginn mit den punktierten Achteln und den flirrenden Sechzehntelfiguren, nachdenklich schwingend das zweite Thema. Sie setzt bewusst Akzente und Kontraste, mündet aber immer wieder in einen ruhigen Fluss ein. Im Allegretto dann lange, gesangliche Bögen und immer wieder kleine agogische Freiheiten. Leonskaja spielt nie auf Wohlklang oder melodienselig, sie erzeugt keinen einlullenden Schubert-Sound, sondern bleibt dringlich und intensiv. Im Allegro vivace wird es dann noch deutlicher: Leonskajas Spiel ist architektonisch, man hört die Struktur der Musik, die schroffen Brüche, sie bleibt dabei aber immer musikantisch, kostet die tänzerischen Partien aus, bevor sie nach den verhauchenden letzten Tönen einen energischen Schlussakkord setzt.
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Die “Drei Klavierstücke, D 946” sind Meisterwerke aus Schuberts letztem Lebensjahr: Die Nr. 1 in es-Moll erklingt düster und gehetzt in ihrem stürmischen Beginn und mit Aufatmen im zarten Mittelteil. Die lieblich-wienerische Melodie am Beginn der Nr. 2 in Es-Dur weicht dem gespenstisch vorüberhuschenden Mollteil, bevor die Reprise wie eine Heimkehr klingt. Besonders intensiv wirkt die Nr. 3 in C-Dur mit ihrem synkopierten Rhythmus, bei dem sich die Assoziation an einen Ausritt in der Steppe aufdrängt. Der Vortrag der viersätzigen a-Moll-Sonate, D 845 nach der Pause überzeugt wieder mit den gleichen Qualitäten; besonders ergreifend, wie Leonskaja den Steinway in den melodischen Partien zum Singen bringt.

Bei diesem Konzert war die Phrase, dass das Publikum „in den Bann gezogen wird“, keine Phrase. Leonskajas mit höchster, fast priesterlicher Konzentration vorgetragenes Spiel vor einem Publikum, das mit höchster Konzentration zuhörte, war nicht nur Musik in Vollendung, sondern eröffnete spirituelle Dimensionen jenseits der Musik. Hier war eine Klavier-Schamanin am Werk. Stehende Ovationen nach der Zugabe, dem beseelt und doch kraftvoll gespielten Impromptu Nr. 3 in Ges-Dur, als Dank für einen Konzertabend, der nicht bloß großartig war, sondern groß.
Ulrike Längle