Es knistert im Gebälk der Gesellschaft

Philosophisch-literarischer Vorabend in Lech.
Lech Beim diesjährigen “Philosophisch-literarischen Vorabend” des 27. Philosophicum Lech, das unter dem Motto “Sand im Getriebe – Eine Philosophie der Störung” steht, erlebte das Publikum auch heuer einen spannenden Dialog zwischen dem Schriftsteller Michael Köhlmeier und dem Philosophen Konrad Paul Liessmann. Unter dem Titel „Es knistert im Gebälk der Gesellschaft“ präsentierte Köhlmeier drei Erzählungen, die von Liessmann philosophisch vertieft wurden.

Die erste Geschichte warf einen ungewöhnlichen Blick auf den biblischen Fall Luzifers. Gott erschafft das Licht am ersten Tag, bevor die Sonne geboren wird. Dieser Moment wirft einen scheinbaren Widerspruch auf: Wie kann das Licht existieren, ohne dass die Sonne erschaffen wurde? Diese Frage wird im Mythos von Luzifer, dem „Lichtträger“, aufgegriffen. Luzifer, im Hebräischen „Helen ben Schachar“, erhält von Gott den Auftrag, den Garten Eden zu erleuchten und damit die göttliche Schöpfung in Szene zu setzen.

Beeindruckt von der unfassbaren Schönheit der Schöpfung wird Luzifer von Stolz und schließlich von Neid ergriffen. Er erkennt, dass seine Fußstapfen nur unwesentlich kleiner sind als die Gottes. Diese Erkenntnis treibt ihn dazu, sich mit Gott zu messen. In seiner Hybris beschließt Luzifer, Gott zu übertrumpfen und selbst die Herrschaft zu übernehmen. Mit den Worten „Ich bin wie Gott!“ erklärt er seine Rebellion, die schließlich zu seinem Sturz in die Hölle führt. Doch bevor Luzifer endgültig fällt, greift er verzweifelt nach dem Himmel und reißt einen Teil des lebendigen Himmels mit sich. Dieser himmlische Raub wird symbolisch sichtbar in der Milchstraße, die als Erinnerung an Luzifers Fall am Nachthimmel leuchtet. Sie ist zugleich ein Symbol für das komplexe Verhältnis von Schöpfung und Rebellion.

Liessmann betonte in seiner Reflexion, dass Luzifers Fall eine Metapher für das ewige menschliche Streben nach Größe, Macht und Selbstverwirklichung ist. “Luzifers Fall ist nicht einfach ein Akt des Verrats”, sagt Liessmann, “sondern ein Gleichnis für das menschliche Streben nach Vollkommenheit”. Der Drang, sich mit dem Göttlichen zu messen und die eigenen Grenzen zu überschreiten, führe nicht selten in die Selbstzerstörung. Luzifer steht für Liessmann nicht nur für das Böse, sondern auch für das Streben nach Erkenntnis und Erleuchtung. Sein Fall verdeutlicht die Dualität der menschlichen Natur: Der Wunsch nach Größe kann ebenso schöpferisch wie zerstörerisch wirken.

In der zweiten Erzählung widmete sich Köhlmeier dem „lieben Augustin“, einer Wiener Sagengestalt aus der Zeit der Pest. Augustins berühmtes Lied „Lustig gelebt und lustig gestorben, ist dem Tod die Rechnung verdorben“ wurde zum Symbol für den Widerstand gegen die allgegenwärtige Todesangst. In der Geschichte überlebt Augustin wie durch ein Wunder, nachdem er irrtümlich in eine Pestgrube geworfen wurde. Seine Haltung, das Leben zu feiern, anstatt sich der Angst zu ergeben, stellt einen radikalen Bruch mit den damaligen gesellschaftlichen Normen dar.

Augustins Lebensfreude, so Liessmann, sei eine Form des Widerstands gegen die Macht des Todes. „Den Tod stören“, bemerkt Liessmann, „heißt, ihm seine Macht nehmen“. Durch die bewusste Entscheidung, das Leben zu feiern, verliert der Tod seine allgegenwärtige Bedrohung und wird letztlich entmachtet.

Die dritte Erzählung drehte sich um eine junge Frau, deren immer grausamer werdende Wünsche eine Kette von Zerstörungen auslösen. Ihre Umgebung, die zunächst versucht, ihr mit Fürsorge zu helfen, wird zunehmend von der unberechenbaren Grausamkeit überrascht. Diese Geschichte bricht radikal mit der weit verbreiteten Annahme, dass Hilfsbedürftigkeit automatisch mit Unschuld verbunden ist. Liessmann greift diesen Gedanken auf und reflektiert, dass unsere Vorstellung von Gut und Böse oft zu einfach gestrickt ist. Die junge Frau zeige, dass selbst in scheinbar schwachen oder schutzbedürftigen Menschen destruktive Kräfte schlummern können. „Die Lust am Leid anderer“, so Liessmann, „offenbart die dunklen Abgründe der menschlichen Natur.“ Das Böse ist nicht immer in offensichtlichen Handlungen zu finden, sondern subtil und oft unerwartet in Alltagssituationen zum Vorschein kommt – eine beunruhigende Einsicht in die Komplexität der menschlichen Psyche und die Fragilität moralischer Überzeugungen.