Käfig sucht Vogel

Theater Mutante präsentiert Uraufführung des Stückes “Alp(t)raum” in der Festhalle Lochau.
Lochau Anlässlich des 100. Todestages von Franz Kafka zündete das ANALOG laboratorium ein wahres Feuerwerk an Ideen in der Festhalle Lochau. Regisseur und Schauspieler Andreas Jähnert zeichnet für die Gesamtleitung verantwortlich. Die Palette der Darbietungen reicht vom Theaterstück „Alp(t)raum“ über eine Performance/Film, Podiumsdiskussionen u.a. mit Psychiater Albert Lingg, Caritasdirektor Walter Schmolly und Moderator Peter Niedermair bis hin zu Workshops und Konzerten.

Im besten Sinne des Wortes „absurdes Theater“ präsentierte das Theater Mutante mit dem Stück „Alp(t)raum“, ein Begriff, der sich in den 1950er Jahren für eine vor allem in Frankreich entstandene Spielart mit grotesk-komischen und irrealen Szenen herausgebildet hatte, bis der Theaterwissenschaftler Martin Esslin mit seiner gleichnamigen Monografie (1961) den Begriff „absurdes Theater“ etablierte, der bis heute ein Standardwerk ist.

Vogelgezwitscher aus dem Off, bizarre, kahle, entwurzelte Bäume auf der Bühne, man fühlt sich an Becketts „Warten auf Godot“ erinnert. Auf dem Balkon werden Hände sichtbar, die miteinander spielen und streiten. Drei Personen betreten die Bühne, die Tänzerin Natalie Fend, Lisa Perner und Sascha Jähnert, im Hintergrund spielt der Musiker Arno Waschk Klavier. „Willkommen im Theater. Schalten Sie bitte ihre Mobiltelefone ein. Telefonieren, Fotografieren und Filmen ist während der Vorstellung erlaubt … bei uns ist trinken und essen erlaubt, hust, hust, bei trockenem Hals dürfen Sie gerne langsam, laut und auffällig ihr Bonbon-Papier auspacken und fröhlich und heiter lutschen.“

Drei Menschen, die sich buchstäblich die Seele aus dem Leib spielen, sei es bei Fends energiegeladenen Tanzperformances inklusive Schattenboxen, Jähnerts einfühlsamer Tanz mit dem Fahrrad, das sich dabei verabschiedet und man Gott sei Dank auf einen Erste-Hilfe-Koffer im Saal zurückgreifen kann, oder bei den wunderbaren Gesangseinlagen von Lisa Perner, sei es bei Nenas „Leuchtturm“, dem Kinderlied „Ponypferdchen“, Vicky Leandros „Guten Morgen Sonnenschein“ oder Eichendorffs „Mondnacht“.

Regisseur Andreas Jähnert entwirft mit „Alp(t)raum“ einen „Don Quichotte-haften“ Parcours voller Überraschungen, komisch-grotesker Szenen, mit viel Witz und Doppelbödigkeit, durchaus mit kafkaeskem Humor, man lese nur einmal die von Klaus Wagenbach unter dem Titel „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ gesammelten Texte über Kafkas Humor. Kafka musste einmal mit einigen Kollegen beim Präsidenten seiner Versicherungsanstalt vorsprechen, und plötzlich, angesichts des gravitätischen und geradezu kaiserlich großzügigen Verhaltens seines obersten Chefs, überkam Kafka plötzlich und unmittelbar ein Lachanfall, der gar nicht mehr aufhören wollte. Das muss man sich einmal vorstellen, Kafka lacht sich vor seinem Chef kaputt – allein dieser Moment charakterisiert Kafka mehr als Hunderte von Regalmetern wissenschaftlicher Abhandlungen über ihn.

Gekonnt führt Andreas Jähnert seine Protagonisten durch die verschlungenen, irrwitzigen Pfade des Grotesken. Ob beim Telefonieren mit Schuhen als Telefonhörer oder beim Verteilen von Schokobonbons an das Publikum; auch der bereits erwähnte Erste-Hilfe-Koffer bekommt einen weiteren Auftritt als scheinbar brandgefährlicher Gegenstand, der plötzlich zum unbekannten Gefahrengut mutiert. Minuten später, als der Koffer von Sascha Jähnert geöffnet wird, bricht er in schallendes Gelächter aus.

“Die Welt ist rund wie eine Mistgabel”, hat ein Bregenzerwälder Philosoph einmal gesagt. Wie recht er hat. Das Publikum quittiert die Aufführung mit tosendem Applaus.
THS