“Ich bin auf der Welt, um Romane zu schreiben”

Kultur / 14.10.2024 • 18:34 Uhr
Für Schriftsteller Michael Köhlmeier ist „normal“ in der Debatte der vergangenen Wochen ein „bösartiger Kampfbegriff“. Die ÖVP reagiert empört. APA
Michael Köhlmeier, der am 15. Oktober seinen 75. Geburtstag feiert, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der Gegenwart. APA

Schriftsteller, Redner, Musiker, Maler: Michael Köhlmeier wird 75.

Hohenems Das Werk des Hohenemser Michael Köhlmeier ist nicht nur herausragend, sondern auch bemerkenswert umfangreich und einzigartig vielfältig: Mehr als hundert Bücher und Buchbeiträge sind in den vergangenen fünf Jahrzehnten entstanden: Romane, Erzählungen, Gedichtbände, Hörspiele, Sachbücher und Essays, Nacherzählungen antiker und biblischer Stoffe, Märchen und Sagen, der Nibelungen oder Shakespeares Dramen, historische Belletristik – oder Liedtexte, immer pointiert seine politischen Reden und Kommentare. Am 15. Oktober feiert der weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte Hohenemser Schriftsteller und Musiker seinen 75. Geburtstag.

Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier: “Ich vertraue auf meinen Engel der Inspiration”. Peter-Andreas Hassiepen

Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie beschlossen haben, Schriftsteller zu werden? Was hat diesen Entschluss beeinflusst?

Köhlmeier: Ich war im Schülerheim in Feldkirch, zehn Jahre alt, es war am Nikolaustag, ich war ein naiver Bub, ich war aufgeregt, das Warten war lang, ich hatte alle Bücher gelesen, die mir gehörten, da habe ich mich hingesetzt und geschrieben, wusste nicht, was daraus wird. Es ging um Tiefseeforschung. Jemand ist in einer Taucherglocke in den Marianengraben abgetaucht … und so weiter. Die Handlung war nicht wichtig, der bloße Akt des Schreibens aber sehr aufregend. Es war, als ob ich dem Bleistift folgte. Ich dachte: Etwas Besseres gibt es nicht.

Wie hat Ihre Herkunft aus Vorarlberg Ihr Schreiben und Ihre Themenwahl beeinflusst?

Köhlmeier: Darüber habe ich, ehrlich gesagt, nie nachgedacht. Themen nicht, die Landschaft schon. Der alte Rhein bei Hohenems. Heiliges Gebiet für mich.

Philosophicum Lech 2022
“Ich bin gelassener geworden. Ich habe Vertrauen gewonnen”. florian lechner

Sie sind sowohl in Hohenems als auch in Wien zu Hause. Wie prägen diese beiden Welten Ihr Schaffen, und was bedeutet Vorarlberg für Sie persönlich und künstlerisch?

Köhlmeier: Die Vorarlberger sind die lustigsten Leute, die ich kenne. Aber diesen speziellen, sehr trockenen Witz versteht nicht jeder. Viele meinen, die Vorarlberger sind so wie die Leute, die sie karikieren. Der Wiener Witz ist konfrontativ. Der haut dir einen vor den Latz. Ich beurteile Menschen und Gegenden nach ihrem Humor. Die Portugiesen, habe ich festgestellt, sind den Vorarlbergern sehr nahe. Vom Humor kann ein Künstler am meisten lernen. Welche Witze erzählt werden, das lässt tief blicken.

Wenn Sie auf Ihre literarische Laufbahn zurückblicken: Gibt es Themen oder Geschichten, die Sie noch nicht erzählt haben, aber gerne noch erzählen würden?

Köhlmeier: Zu viele, als dass meine Zeit reicht. Ich vertraue auf meinen Engel der Inspiration. Den möchte ich nicht überholen, und ihm etwas vorschlagen, will ich auch nicht.

MatouMichael Köhlmeier, Carl Hanser Verlag, München 2021, 957 Seiten, 34 Euro
Matou liegt Michael Köhlmeier besonders am Herzen. Carl Hanser Verlag

Gibt es ein Werk von Ihnen, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Köhlmeier: Ich mag sie alle gern. Matou, der Roman, der von einem Kater erzählt wird, der liegt mir besonders am Herzen. Aber auch meine Märchensammlung. Ich liebe Märchen. Ich denke, in jeder Geschichte, auch in den Nachrichten im Fernsehen, sitzt im Kern ein Märchen – „es war einmal …“

Sie haben eine beeindruckende Karriere als Erzähler, Romanautor, Essayist und Redner. Gibt es ein Projekt oder ein Werk, auf das Sie besonders stolz sind?

Das Philosophicum Lech findet in diesem Jahr vom 19. bis zum 24. September statt.  F.Lechner (2)
Köhlmeier ist Mitgründer des Philosophicum Lech.  F.Lechner

Köhlmeier: Ich bin stolz, dass ich bei der Geburt des „Philosophicum Lech“ dabei sein durfte. Das ist mein Dienst an der Gesellschaft. Und dann: Obwohl ich das Lied nicht mehr hören kann, bin ich doch stolz, dass Reinhold Bilgeri und ich mit „Oho Vorarlberg“ ein Volkslied geschaffen haben. Das Lied braucht uns nicht mehr. Die meisten Leute, die das Lied kennen und singen, wissen nicht, wer es gemacht hat. Bei den literarischen Werken möchte ich nicht von Stolz sprechen. Sie verschaffen mir Genugtuung.

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Wie hat sich Ihr Schreibprozess über die Jahre entwickelt oder verändert?

Köhlmeier: Ich bin gelassener geworden. Ich habe Vertrauen gewonnen … ja, in den Engel der Inspiration … auch Vertrauen in den Ethos der Arbeit. Man muss sich nicht wichtig nehmen, ernst nehmen aber sollte man sich. Ich versuche es.

Wie haben persönliche Höhen und Tiefen Ihr literarisches Schaffen beeinflusst?

Köhlmeier: Wenn ich verrissen worden bin, das hat weh getan, hat mich zornig gemacht, ich habe mir gewünscht, ich wäre einer, der Watschen verteilen kann, bin ich nicht … aber dass Niederlagen mein Schreiben beeinflusst hätten: nein. Weder, dass ich gedacht habe, jetzt erst recht, noch, dass ich gedacht habe, ich geb’s auf. Ich habe einfach weitergemacht.

Michael Köhlmeier
Der Schriftsteller hat sich in den vergangenen Jahren auch der Malerei gewidmet. andreas marte

Welche Botschaft möchten Sie durch Ihre Literatur vermitteln?

Köhlmeier: Keine.

Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Literatur und Gesellschaft, und welche Verantwortung trägt ein Schriftsteller Ihrer Meinung nach?

Köhlmeier: Wenn der Leser aus einem Buch einiges darüber erfährt, in welcher Welt er lebt, wenn diese Welt gut beschrieben ist, dann ist viel gewonnen. Ich mag es nicht, wenn mir ein Autor sagt, was ich denken soll. Dann mach ich das Buch zu. Die Aufgabe des Schriftstellers besteht darin, ein gutes Buch zu schreiben, und nicht, eine gute Predigt zu halten.

Gemeinsames Bild von Michael Köhlmeier mit seinem Sohn Lorenz Helfer.
Michael Köhlmeier mit seinem Sohn Lorenz Helfer. roland paulitsch

Haben Sie Rituale oder Gewohnheiten, die Ihnen beim Schreibprozess helfen?

Köhlmeier: Ich muss meinen Kopf bei mir haben, alles andere ergibt sich.

Haben Sie noch literarische Träume oder Projekte, die Sie in Zukunft verwirklichen möchten?

Köhlmeier: Im Sommer haben der Komponist Marcus Nigsch und ich beschlossen, eine Oper zu schreiben. Wir haben ein Thema, ein gutes Thema, aber das verraten wir nicht. Darauf freue ich mich. Marcus ist ein großartiger Künstler, er zündet an.

Was inspiriert Sie heute noch zum Schreiben, und wo finden Sie neue Ideen?

Monika Helfer und Michael Köhlmeier setzen sich mit Leben und Werk von Franz Michael Felder auseinander.  APA/dpa POOL/S. Gollnow
Das überaus erfolgreiche Schriftsteller-Ehepaar Monika Helfer und Michael Köhlmeier.  APA/dpa POOL/S. Gollnow

Köhlmeier: Menschen inspirieren mich, Musik, Malerei. Kunst inspiriert Kunst. Monika, meine Frau, inspiriert mich, unsere Gespräche, unsere Spaziergänge. Unsere Kinder inspirieren mich. Ein guter Witz inspiriert mich. Kinderaugen und die Sterne …

Wenn Sie auf Ihr jüngeres Selbst zurückblicken könnten, welchen Rat würden Sie sich geben?

Köhlmeier: Hab keine Angst.

Andreas Marte