Zerbrochenes Glas und düstere Schatten

Brigitte Walk präsentierte die Premiere von „Hirschfelds go to Izmir“ in der Collini Garage in Hohenems.
Hohenems Für ihre neueste Produktion „Hischfelds go to Izmir“ reiste Brigitte Walk gemeinsam mit dem Schauspieler Suat Ünaldi und dem Filmemacher Cem Bariscan in die Millionenstadt an der Ägäisküste, um vor Ort sozusagen „Feldforschung“ zu betreiben. Dort kamen sie in Kontakt mit der jüdischen Gemeinde, die heute noch rund 1.200 Mitglieder zählt. Im 19. Jahrhundert lebten mehr als 30.000 Menschen jüdischen Glaubens in Smyrna. In Izmir gibt es heute noch neun Synagogen (als Museen) und einer der berühmtesten Juden der Stadt war der selbst ernannte Messias und jüdische Gelehrte Schabbtai Zvi (1626-1676).

Auch in Walks Stück gehen die Protagonisten auf Reisen. Da ist zum einen die Familie Hirschfeld aus Hohenems, die im 19. Jahrhundert nach Izmir auswanderte, um dort im Textilhandel ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und zum anderen das Paar Özge und Suat, die beiden Hauptfiguren des Stücks. Özge Dayan-Mair, die aus Izmir stammt und in Wien lebt, und Suat Ünaldi, der ebenfalls aus Izmir stammt und in Vorarlberg lebt. Die beiden verkörpern auch das Ehepaar Hermann und Karoline Hirschfeld. Es wird nicht nur eine Zeitreise, Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen zu einer Einheit, die Protagonisten wechseln auch in Sekundenschnelle die Charaktere, von Hermann Hirschfeld zu Suat, von Özge zu Karoline Hirschfeld, und dann gibt es noch interaktive Situationen, in denen Suat mit Karoline Hirschfeld oder Hermann Hirschfeld mit Özge spricht.

Die beiden Schauspieler agieren vor einer weißen Projektionsfläche, auf die Videos und Standbilder projiziert werden, und auf dem Bühnenboden liegen unzählige Glasscherben – ein Verweis auf die Reichspogromnacht (Novemberpogrome 1938), die zerbrochene Fensterscheiben und zerstörte Kronleuchter in Synagogen suggeriert, aber nicht annähernd deutlich macht, dass damals nach heutigen Schätzungen mindestens 1.500 Menschen ermordet wurden.

Auf diesen „broken glasses“ bewegen sich Özge/Karoline und Suat/Hermann auf der Suche nach Heimat, auf der Suche nach ihren Wurzeln und nach sich selbst. Gesellschaftspolitisch brisante Themen wie Migration, Fremdenfeindlichkeit, der bittere Verlust von Heimat und der eigenen Identität werden aufgegriffen. Manche Szenen werden aber auch von Wortwitz getragen, etwa wenn Özge Hermann Hirschfeld erklärt, was „Merhaba“ oder „Tesekür ederim“ auf Deutsch bedeutet. Es geht ans Eingemachte, wenn Suat sagt, dass „in Hohenems keine Juden mehr leben“ und dabei schallend lacht, bis ihm das Lachen im Hals stecken bleibt und Karoline mit „Das ist jetzt ein schlechter Witz“ quittiert.

Gekonnt bewegen sich Dayan-Mair und Ünaldi durch den manchmal etwas sperrigen, hier und da ausufernden Text des aus einer jüdisch-türkischen Familie stammenden Autors Aksel Bonfil aus Istanbul. Vielleicht hätte man doch mehr „beim Eingemachten“ bleiben sollen? Die Projektionen von Sarah Mistura und Cem Bariscan verleihen dem Stück zusätzliche Brisanz. Brigitte Walk zeigt einmal mehr, warum sie zu den herausragenden Theatermacherinnen des Landes gehört.
Thomas Schiretz

Hirschfelds go to Izmir
18.10.2024: 20 Uhr
19.10.2024: 20 Uhr
21.10.2024: 20 Uhr
22.10.2024: 20 Uhr