Porträts zwischen Realität und Imagination

“Gerhard Richter: Figürliche Malerei 1963 – 2009“
München In „Gerhard Richter: Figürliche Malerei 1963 – 2009“ stellt der Künstler eine Auswahl seiner bedeutendsten Porträts zusammen – eine persönliche Auswahl, die einen intensiven Einblick in sein Schaffen und seine individuelle Auseinandersetzung mit dem Thema der figurativen Malerei ermöglicht. Das Besondere an diesem Buch ist, dass die Bilder nicht nur als Porträts funktionieren, sondern in ihrer Gesamtheit eine imaginäre Begegnung der dargestellten Personen erzeugen. Diese Begegnung ist einzigartig, da sie nur in der Zusammenstellung dieses Werkes zu finden ist.

Die zwischen 1963 und 2009 entstandenen Arbeiten zeigen ein breites Spektrum von Menschen – von Familienmitgliedern über anonyme Persönlichkeiten bis hin zu Personen der Zeitgeschichte. Besonders bemerkenswert ist, wie Richter nicht nur Personen, sondern auch Gesten, Haltungen und Posen festhält. Diese erinnern an die klassische europäische Kunsttradition und verleihen den Bildern eine gewisse Zeitlosigkeit. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Selbstbildnis, in dem Richter mit gesenktem, nachdenklichem Blick einen Moment der Reflexion und Selbstbesinnung darstellt. Diese introspektive Haltung findet sich auch in anderen Werken, wie etwa in „Ella“ (Tafel 49), wo der Blick der Dargestellten ins Leere geht, wodurch eine besondere Spannung zwischen Sichtbarem und Angedeutetem entsteht. Diese Komposition erinnert an die Werke Vermeers, in denen die Figuren oft lesend, träumend oder nachdenklich dargestellt sind.

Dabei spielt Richters Maltechnik eine zentrale Rolle. Durch sein charakteristisches Verwischen der Konturen erzeugt er eine sanfte Unschärfe, die den Bildern eine zusätzliche Dimension verleiht. Diese Technik eröffnet Interpretationsspielräume und lädt den Betrachter ein, tiefer in die Szene einzutauchen und die Grenzen zwischen Fotografie und Malerei verschwimmen zu lassen. Gerade das Wechselspiel von Schärfe und Unschärfe verleiht den Bildern eine besondere Dynamik und Plastizität, die Richters Werk seit jeher auszeichnet.

Ein wichtiger Teil der Sammlung ist Richters Familie gewidmet. Zahlreiche Bilder zeigen Verwandte wie „Onkel Rudi“ (Tafel 17) oder „Tante Marianne“ (Tafel 18), aber auch seine Frau und seine Kinder, die einen zentralen Platz in dieser Auswahl einnehmen. Besonders hervorzuheben ist das Selbstbildnis des Künstlers von 1996, das zu den wenigen Werken gehört, die direkte Hinweise auf die Identität des Dargestellten geben. Diese Arbeiten schaffen eine emotionale Nähe zwischen Künstler und Betrachter, die durch Richters unverwechselbare Bildsprache noch verstärkt wird.

Neben Familienfotos verwendet Richter auch Fotografien aus Zeitungen und Zeitschriften, die er in seine Bilder integriert. Besonders eindrucksvoll zeigt sich diese Technik in Werken wie „Terese Andeszka“ und „Christa und Wolfi“, die auf den ersten Blick als klassische Familienbilder erscheinen, durch Richters Malweise jedoch eine tiefere Bedeutungsebene erhalten.