Treue: Liebe, Begehren und Verrat

Neuer Roman von Roberto Saviano über die Frauen in der Mafia.
Schwarzach Roberto Savianos neuer Roman „Treue“ („Noi due ci apparteniamo“) eröffnet eine überraschende und eindringliche Perspektive auf die Mafia. Zwanzig Jahre nach „Gomorrha“, mit dem er die Darstellung des organisierten Verbrechens grundlegend veränderte, wagt Saviano einen tiefen Einblick in bisher unbekannte Aspekte mafiöser Machtstrukturen. Mit gewohnter journalistischer Schärfe und erzählerischer Intensität beleuchtet er die intimen Zusammenhänge von Sex, Verrat und Emotionen, die über Aufstieg und Fall von Mafiaimperien entscheiden können.

Savianos Werk besteht aus einer Sammlung von realistisch dokumentierten Geschichten, die von subtilen Machtspielen und zerstörerischer Hingabe geprägt sind. Exemplarisch erzählt er von Lou, der in existenzieller Not seine Frau beim Pokerspiel einsetzt, und schildert eindrucksvoll die tragische Ambivalenz zwischen Loyalität, Besitzdenken und existenzieller Abhängigkeit innerhalb der Mafia. Besonders erhellend und tiefgründig gelingt ihm das Porträt eines kalabrischen ‘Ndrangheta-Killers, dessen Coming-out eine lebensbedrohliche Herausforderung in einem Milieu voller patriarchaler Zwänge darstellt.

In einer bisher kaum beleuchteten Weise stellt Saviano Gefühle und Sexualität nicht als bloße Randphänomene, sondern als wesentliche Faktoren des mafiösen Machtgefüges dar. Frauen spielen dabei eine zentrale Rolle: Sie sind nicht nur passive Begleiterinnen, sondern treten als manipulative Strateginnen, als entschlossene Täterinnen oder auch als tragische Opfer in Erscheinung. Gerade diese eindringlich geschilderten Konstellationen verleihen dem Buch seine erzählerische Tiefe und dokumentarische Authentizität.

Savianos akribische Recherche verbindet sich mit einer klaren und zugleich nuancierten Sprache. Sein Stil bleibt präzise und pointiert, schafft aber zugleich intensive Bilder von großer emotionaler Wirkung. Mit dieser Herangehensweise gelingt es ihm einmal mehr, die dunklen Ecken einer kriminellen Parallelwelt auszuleuchten, deren emotionale Komplexität meist unbeachtet bleibt.

„Treue“ ist deshalb mehr als ein weiteres Buch über die Mafia. Es ist ein bewegendes, aufwühlendes Werk über Menschen, die in einem Netz aus Gewalt und Verrat um Liebe und Anerkennung kämpfen. Roberto Saviano zeigt einmal mehr, wie der intime Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen die härtesten kriminellen Imperien aufbauen oder zu Fall bringen kann. Damit leistet er einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis einer ebenso erschreckenden wie faszinierenden Realität – und bestätigt einmal mehr seine Ausnahmestellung als Chronist und Kritiker des organisierten Verbrechens.
Treue: Liebe, Begehren und Verrat
272 Seiten
Hanser Verlag
Hardcover
ISBN 978-3-446-28305-3