Utopie ist der Weg und das Ziel

Kultur / 11.04.2025 • 14:46 Uhr
Tage der Utopie
Stella Schaller: „Krise ist kein Betriebsunfall, sondern der Prozess selbst.“ andreas marte

Zukunftsforscherin Stella Schaller referierte bei den Tagen der Utopie.

Götzis Wie wollen wir leben? – Diese Frage stand im Mittelpunkt des Vortrags, den die Transformationsbegleiterin und Zukunftsforscherin Stella Schaller im Rahmen der “Tage der Utopie” hielt. Mit klarem Blick auf die aktuellen Krisen und inspiriert von konkreten Beispielen gelebter Transformation entwarf Schaller nicht nur Visionen einer gelingenden Zukunft, sondern rief auch dazu auf, diese im Hier und Jetzt zu leben.

Tage der Utopie
So könnte Bregenz in 20 Jahren aussehen. andreas marte

Gleich zu Beginn stellte sie klar: Transformation ist ohne Krise nicht möglich. „Krise ist kein Betriebsunfall, sondern der Prozess selbst“. Vielmehr gehe es darum, mit Unsicherheit umzugehen, sich der eigenen Trauer über den Verlust von Vertrautem zu stellen – und gleichzeitig den Mut zu fassen, neue Wege zu gehen. Schaller, Mitbegründerin des Berliner Think Tanks ReInventing Society, plädierte dafür, Utopien nicht als ferne Wunschbilder, sondern als praktische Haltung zu begreifen. „There is no way to utopia – utopia is the way“, lautete eine zentrale Botschaft ihres Vortrags. Sie lud das Publikum ein, im Alltag damit zu beginnen, das, was man sich für die Zukunft wünscht, schon heute zu leben – in der Arbeitswelt, im sozialen Miteinander, im Umgang mit sich selbst.

Tage der Utopie

Besonders eindrücklich war der performative Mittelteil ihres Vortrags: Als fiktive Journalistin Liliana Morgenthal aus dem Jahr 2045 schilderte Schaller, wie Europa, Berlin und das Vorarlberger Rheintal durch mutige Entscheidungen, kollektive Lernprozesse und neue Spielregeln zu Orten geworden sind, an denen nicht nur ökologische und soziale Gerechtigkeit verwirklicht, sondern auch seelische Wunden geheilt wurden. Renaturierte Städte, Gemeinwohlökonomie, kollektive Traumabewältigung und eine Kultur des Zuhörens bildeten das Rückgrat dieser Zukunftsvision – und machten sie greifbar. Doch Schaller beließ es nicht bei der Vision. Sie benannte auch konkrete Realutopien: Solidarische Landwirtschaft, Soziokratie, Sharing-Konzepte, modulares Bauen mit Holz, Nachbarschaftsgärten oder Gemeinwohlbilanzen. All das sei bereits Realität – oft aber noch in der Nische. „Jetzt geht es darum, diese Keime sichtbar zu machen, zu vernetzen und systemisch wachsen zu lassen.“

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.

Dabei warnte sie auch vor einem einseitigen Innovationsbegriff: „Nicht nur die Technik ist zukunftsentscheidend, sondern auch soziale und kulturelle Innovationen“. Neue Formen des Zusammenlebens, Entscheidens und Wirtschaftens seien ebenso zentral wie neue Technologien. Am Ende plädierte Schaller für eine neue Haltung gegenüber Krisen: eine Haltung, die das Unvermeidliche akzeptiert, das Verlorene betrauert, aber nicht in Ohnmacht verharrt. Sondern aus innerer Klarheit und Freude heraus das Neue gestaltet. „Was wir jetzt nicht kultivieren – an Mut, an Phantasie, an Verbundenheit – das wird uns in Zukunft fehlen.“ Mit dem Appell, eigene Visionen zu entwickeln, über Träume zu sprechen, Zukunftssalons zu organisieren und sich immer wieder Räume der Integration und des Innehaltens zu gönnen, endete ein Vortrag, der vieles vereinte: analytische Schärfe, poetische Kraft und konkrete Handlungsimpulse.

Tage der Utopie in Götzis

Mit der Veranstaltung „Acht wegweisende Visionen aus der Region“, einer Pecha-Kucha-Show über Prototypen und reale Utopien, schließen die Utopietage am Samstag ihr Programm ab. Dabei wird der Blick gezielt in die Region gerichtet – auf visionäre Projekte, innovative Praxis und gesellschaftliche Keimzellen des Wandels. Im Anschluss stehen alle Referentinnen und Referenten an Stehtischen für vertiefende Gespräche zur Verfügung.