Bewegende Feier der Freiheit und Identität

Kultur / 12.08.2025 • 15:30 Uhr
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Der lettische Star-Dirigent Andris Nelsons führte die Wiener Philharmoniker meisterhaft durch die Werke Mahlers und Schostakowitschs.Marco Borrelli

Die Salzburger Festspiele gedenken Dmitri Schostakowitsch mit beeindruckendem Konzert.

Salzburg Mit dem Todestag Dmitri Schostakowitschs am 9. August 1975 endete nicht nur das Leben eines der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, sondern auch eine Epoche, in der Musik unter den Zwängen politischer Zensur entstehen musste. Die Salzburger Festspiele widmen dem sowjetischen Meister anlässlich seines 50. Todestags einen programmatischen Schwerpunkt – klüger als mit diesem Gedenkkonzert hätte man ihn kaum eröffnen können. Andris Nelsons dirigierte an jenem Vormittag mit den Wiener Philharmonikern zwei Werke, in denen sich künstlerisches Ringen, biografische Wahrheit und historische Brüche zu einer erschütternden Klangrede verdichten. Gustav Mahlers Adagio aus der unvollendeten zehnten Symphonie und Schostakowitschs zehnte Symphonie in e-Moll.

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Marco BorrelliAndris Nelsons und die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen.

Was zunächst wie ein atmosphärisch gesetzter Auftakt anmutet, erweist sich rasch als eigenständiger Monumentalsatz: Mahlers Adagio, 1910 im Zeichen privater Krisen und gesundheitlicher Erschütterungen komponiert, ist ein singuläres Vermächtnis zwischen Abschied und Transzendenz. Andris Nelsons ließ die Bratschen zu Beginn so innig und weich anheben, als wolle er das Publikum in einen seelischen Resonanzraum führen, in dem jeder Ton Erinnerung trägt.
Die Wiener Philharmoniker offenbarten in diesem langsamen Satz einmal mehr, worin ihre Größe liegt: in der Fähigkeit, auch in weitgespannten Klangbögen kammermusikalische Transparenz zu bewahren. Nelsons arbeitete die eruptiven Zonen – allen voran den berühmten Cluster-Schrei im Zentrum – mit kontrollierter Wucht heraus, ohne je ins Grobe zu kippen. Die Musik bebte, aber sie zerbrach nicht. Und als Mahler gegen Ende in eine versöhnliche Geste zurückfindet, ist es kein sentimentaler Trost, sondern ein vorsichtiger Blick ins Offene – ein leiser Abschied ohne Pathos.

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Marco BorrelliAndris Nelsons und die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen.

Nach der Pause folgte mit Schostakowitsch der Höhepunkt des Vormittags, doch das Thema blieb dasselbe: Wie kann ein Künstler sprechen, wenn man ihm das Wort verbietet? Die 10. Symphonie, die er 1953 unmittelbar nach Stalins Tod komponierte, ist keine programmatische Sinfonie im engeren Sinne – und doch enthält sie mehr biografische und politische Signaturen als mancher Roman. Nelsons interpretierte dieses Spannungsfeld nicht plakativ, sondern ließ es organisch aus der Musik selbst hervorgehen. Bereits im ersten Satz zeigte sich, mit welcher inneren Spannung diese Musik aufgeladen ist. Nelsons dehnte die langen melodischen Linien mit unerbittlicher Ruhe und modellierte die dunklen Klangflächen mit großer Intensität. Besonders die Holzbläser – allen voran Flöten und Klarinetten – überzeugten in ihren Soli mit sprechender Ausdruckskraft.
Der zweite Satz, das berüchtigte Scherzo, geriet zur musikalischen Abrechnung mit Stalin: grell, hämisch, brutal. Nelsons dirigierte das Allegro mit gnadenloser Rasanz, trieb die Philharmoniker zu schneidender Präzision und schuf so das klangliche Porträt eines seelenlosen Machtmenschen.

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Im dritten Satz tritt Schostakowitschs musikalisches Monogramm D-Es-C-H in Erscheinung – als Signal seiner künstlerischen Identität. Nelsons ließ dieses Motiv in unterschiedlichen Farben aufleuchten: mal verschattet, mal triumphierend, mal ironisch gebrochen. Der Finalsatz, häufig als optimistischer Ausklang missverstanden, wurde unter Nelsons’ Händen zur trotzigen Behauptung des Ichs inmitten politischer Enge.

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Marco BorrelliAndris Nelsons und die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen.

Mit analytischer Klarheit, emotionaler Tiefe und einer fast tänzerischen Eleganz führte Nelsons durch diese große Sinfonie. Dabei entwickelte er seinen eigenen, atmenden Klang, der die Widersprüche der Musik nicht glättet, sondern freilegt.
Dieser Vormittag war mehr als ein Gedenkkonzert. Es war ein musikalischer Essay über Freiheit, Identität und die bleibende Kraft des Klangs. Mit diesem Programm haben die Salzburger Festspiele Schostakowitsch angemessen gewürdigt und zum Sprechen gebracht. Tosender Applaus und minutenlange Standing Ovations waren die logische Konsequenz.