Aus Schwarz wird Weiß

Kultur / 04.05.2025 • 14:39 Uhr
Emanuel Gat Dance Bregenzer Frühling
Wesentlich in Gats Choreografien sind die Spannungsfelder zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Kollektiv und Individuum. Julia Gat

Emanuel Gat Dance begeisterte mit einer sehr komplexen und ausgefeilten Choreografie beim Tanzfestival Bregenzer Frühling

Thomas Schiretz

Bregenz Emanuel Gat gehört sicher zu den profiliertesten Choreografen der Gegenwart, aber auch zu den gewieftesten. Mit scharfem Verstand geht er Phänomenen nach, die so noch nicht auf der Tanzbühne zu sehen waren, vor allem lässt er seinen Tänzern ihre eigene Bewegungsantwort finden; ihnen seine eigene Bewegungssprache aufzuoktroyieren, hält der israelisch-französische Choreograf „beinahe faschistisch“.

Emanuel Gat Dance Bregenzer Frühling
Beide Choreografien sind starke Ausrufezeichen in einer von multiplen Krisen geschüttelten Welt. Julia Gat

Bereits 2023 gastierte Emanuel Gat Dance mit ihrem energetischen Stück „Lovetrain2020“ beim Bregenzer Frühling. Wie schon in „Lovetrain“ konnte man auch in seinem neuesten Stück „Freedom Sonata“ (2024) jene ansprechende Lichtöffnung im Bühnenhintergrund, jene schnellen musikalisch wie szenischen Übergänge bzw. Pausen der Stille ausmachen, wenn sich die Tänzer mit ihren Soli von hyperagil und quirlig bis nachdenklich und meditativ präsentieren. Beide Choreografien sind starke Ausrufezeichen in einer von multiplen Krisen geschüttelten Welt, allerdings keine marktschreierischen, sondern überaus durchdachte, komplex und dicht gewobenen Choreografien, deren Lesbarkeit sich dem Betrachter mitunter erst auf den zweiten Blick erschließt.

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Wesentlich in Gats Choreografien sind die Spannungsfelder zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Kollektiv und Individuum. Wie kann man die Balance zwischen persönlicher Entfaltung und kollektivem Einfluss darstellen, ohne ausufernd zu wirken? Für dieses Gelingen trägt maßgeblich Emanuel Gats Beleuchtungs-, Regie- und Choreografiekonzept bei, wie auch eine Musikauswahl, mit einer hybriden musikalischen Struktur, eine ungewöhnliche Verschmelzung von Spätklassik (Ludwig van Beethovens letzte Klaviersonate Nr. 32 in C-Moll, op. 111) und modernem Hip-Hop (Kanye Wests Album „The Life of Pablo, 2016), genial kombiniert und sozusagen die „basic structure“, also die Grundstruktur des Ganzen bildet. „Freedom Sonata wird so zu einer symbolischen Darstellung der modernen Gesellschaft und ihrer Widersprüche, als eine zeitgenössische Interpretation der klassischen Sonatenform, die alte und neue musikalische Welten vereint“, so Emanuel Gat. Agieren die Tänzer zu Beginn mit weißen Shirts und Hosen von Boxershorts bis ¾ auf einem schwarzen Tanzboden und mit schwarzen Soffitten verhängten Bühnenraum, so wechselt im Laufe des Stücks das Szenarium nach Weiß. Auf den schwarzen Tanzboden werden weiße Tanzteppichrollen geklebt und auch die Vorhänge werden weiß – die Bekleidung der Tänzer allerdings wechselt zu Schwarz.

Eine formvollendete Choreografie

Eine Parallele zu Pablo Picassos weltberühmter Friedenstaube und Emanuel Gats „Freedom Sonata“ drängt sich auf. Die Friedenstaube zählt zweifellos zu den bekanntesten Symbolen weltweit. Dass sie aber von Picasso erfunden worden ist, ist nur wenigen bekannt. Eine der ersten war die realistische Darstellung einer weißen Taube vor schwarzem Grund (1949) – Weiß auf Schwarz! Die berühmteste wurde allerdings „Die Fliegende Taube“ vom 9. Juli 1950, die für den Londoner und Sheffielder Friedenskongress benutzt wurde, jene, die nur in/mit einem einzigen Strich definiert wurde. So wie Picasso seine Taube nur in einem Strich zeichnete, so kreiert Emanuel Gat in einem Guss seine Choreografie zu „Freedom Sonata“, die formvollendet ist, kein Zuviel, kein Zuwenig, in allem das rechte Maß hat. Die Intendantin des Bregenzer Frühlings, Judith Reichart, bringt es auf den Punkt: „Emanuel Gat zeigt mit großer Klarheit, wie wir agieren, wie verletzlich wir sind und welches Potential in der gemeinsamen Bewegung liegt.“ Viel Applaus.