Ein literarisches Kammerspiel

Kultur / 16.06.2025 • 14:57 Uhr
Ein literarisches Kammerspiel
Katja Lange-Müller wird im November den Thomas-Mann-Preis verliehen bekommen. Annette Hauschild

Katja Lange-Müller stellt am Dienstagabend im Theater Kosmos ihren neuen Roman „Unser Ole“ vor.

Bregenz Eine alte Frau, ein schwieriger Junge und drei Generationen ungeliebter Töchter – mit diesen Zutaten entwirft Katja Lange-Müller in ihrem neuen Roman „Unser Ole“ ein fein gesponnenes Kammerspiel über menschliche Abgründe und unerwartete Nähe. „Diese Geschichte ist nicht erfunden, schon gar nicht frei“, betont die Autorin.

Ehrlichkeit und Präzision

Im Zentrum der Geschichte steht Ida, einst schön, heute gezeichnet von Enttäuschungen und Altersarmut. Um über die Runden zu kommen, modelt sie bei Modenschauen für Seniorinnen. In einem Kaufhaus trifft sie auf Elvira, die ihren Enkel Ole betreut. Als Ida ihre Wohnung verliert, lädt Elvira sie in ihr abgelegenes Landhaus ein. Die beiden Frauen teilen nicht nur ein ähnliches Schicksal, sondern bald auch die Verantwortung für den unberechenbaren Ole. Der Jugendliche ist spätpubertär, kognitiv beeinträchtigt – und eine ständige Herausforderung. Die prekäre häusliche Konstellation gerät endgültig aus dem Gleichgewicht, als es zu einem tragischen Ereignis kommt. Oles Mutter Manuela kehrt zurück – nach Jahren der Abwesenheit. Drei Frauen, deren Mutter-Tochter-Beziehungen allesamt zerrüttet sind, treffen in einer Konfrontation aufeinander, die Vergangenes aufwühlt und Gegenwärtiges infrage stellt.

Ein literarisches Kammerspiel
kiepenheuer & witsch

Die Inspiration zu „Unser Ole“ fand die Autorin in der Zeit der Coronapandemie. „Solche ,Ole’-artigen Figuren waren die einzigen, die auf der Straße unterwegs waren – alle anderen mussten Zuhause bleiben“, sagt sie. „In dieser Zeit fielen besonders die etwas gestört oder zerstört Menschen auf – Menschen, die zum Teil nicht einmal einen festen Wohnsitz hatten.“ So entstand die Figur Ole. Doch Lange-Müller musste auch Gegenfiguren erschaffen – die drei Frauen. Was zunächst nach einer rührenden Geschichte klingt, enthält auch eine klare Botschaft und Kritik. „Inklusion ist eine Farce, das klappt einfach nicht. Menschen wie dieser Ole, autistische oder schwierige Figuren, genauso wie die drei Frauen, werden wohl immer Außenseiter bleiben“, erklärt sie. „Inklusion ist ein Gerücht, das nicht eingelöst wird.“ Die Autorin schafft es Figuren vom Rande der Gesellschaft unterschiedliche Stimmen zu geben.

Auszeichnungen

Ihr neues Werk wurde von der Kritik als „literarisches Wunderwerk“ gefeiert – ein weiteres Beispiel für jene markante Mischung aus grotesker Komik und Melancholie, für die Lange-Müller bekannt ist. Bereits mit Büchern wie „Wehleid – wie im Leben“, „Biotopische Zustände“, „Die Enten“, “die Frauen und die Wahrheit“. Für ihr literarisches Schaffen wurde sie vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis, dem Alfred-Döblin-Preis, dem Kleist-Preis und dem Günter-Grass-Preis.

In „Unser Ole“ seziert sie präzise familiäre Muster und psychologische Dynamiken. Für ihr Gesamtwerk erhält sie heuer den renommierten Thomas-Mann-Preis 2025. „Es ist ein gutes Gefühl, dafür ausgezeichnet zu werden. Ich muss die Dankesrede noch schreiben – das beschäftigt mich schon“, sagt Lange-Müller. Die Preisstifter würdigen, dass Lange-Müller „literarische Verhaltensforschung betreibt – an Menschen, Tieren und Pflanzen“. Wer vielfach ausgezeichnete Autorin Katja Lange-Müller persönlich erleben möchte, hat am 17. Juni im Theater Kosmos Gelegenheit dazu – bei der Präsentation von „Unser Ole“ gemeinsam mit Jürgen Thaler und einer Lesung, die garantiert nachhallt.