Ein Thriller unter freiem Himmel

Gelungene Premiere von Puccinis „Tosca” bei den St. Galler Festspielen im Klosterhof.
St. Gallen Der Klosterhof von St. Gallen bot am Freitagabend eine Bühne, die atmosphärisch und architektonisch kaum dramatischer sein könnte. Regisseur Marcos Darbyshire nutzte diesen geschichtsträchtigen Ort für eine Inszenierung, die auf Tempo, Spannung und emotionale Verdichtung setzte. Damit markierte er einen gelungenen Auftakt zur 20. Ausgabe der St. Galler Festspieloper.

Kaum ein Werk der Opernliteratur bündelt Politik, Leidenschaft und existenzielle Tragik derart intensiv wie „Tosca“. Darbyshire erzählt diese Geschichte nicht als sentimentale Romanze, sondern als düsteren Thriller, der sich mit filmischer Präzision entfaltet. Der besondere Reiz der Freiluftaufführung liegt in ihrer Lichtdramaturgie: Während der ersten Szenen liegt der Platz noch im milden Abendlicht, doch mit dem Fortschreiten der Handlung senkt sich die Nacht über das Geschehen – als ob sich der Lauf der Tragödie mit dem natürlichen Tageslicht synchronisiert hätte. Diese Gleichzeitigkeit von Handlung und Verfinsterung intensiviert die Wirkung enorm.

Auch das Bühnenbild von Martin Hickmann trägt zum dichten Rhythmus der Aufführung bei. Mit wenigen Handgriffen verwandeln sich die Schauplätze Kirche, Palazzo Farnese und Engelsburg – drei Ikonen – ineinander, ohne dass Brüche entstehen. Eine zusätzliche physische Dimension erhält das Spiel durch die erstmals engagierte Stuntgruppe, deren Einsatz die Szenen von Verfolgung und Gewalt in Bewegung versetzt und die ohnehin hohe Spannung nochmals steigert.

Musikalisch gelingt unter der Leitung von Giuseppe Mentuccia eine dichte, kontrastreiche Lesart von Puccinis Partitur, die sowohl in der orchestralen Detailarbeit als auch in den großen dramatischen Bögen überzeugt. Das Sinfonieorchester St. Gallen erweist sich dabei als tragende Kraft des Abends: Es spielt klanglich differenziert, rhythmisch präzise und mit feinem Gespür für die atmosphärischen Kontraste der Partitur. Von der dramatischen Zuspitzung bis hin zur leisen Innerlichkeit lotet das Orchester jede Nuance mit musikalischer Intelligenz und großer Klangschönheit aus.
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Jorge Puerta gestaltet den Cavaradossi mit tenoraler Strahlkraft und großer innerer Präsenz – seine Arie „E lucevan le stelle” gerät zum Höhepunkt seiner Zerrissenheit. Als sein Gegenpart dominiert Alexey Bogdanchikov das Bühnengeschehen in der Rolle des Baron Scarpia. Ungepflegt, herrisch, berechnend – optisch an Gary Oldman in der Netflix-Serie „Slow Horses“ erinnernd– und entfaltet eine Bühnenpräsenz, in der Machtwille, Sadismus und kalter Zynismus zur beklemmenden Einheit verschmelzen.

Libby Sokolowski bleibt in der Titelrolle etwas hinter diesen beiden starken Partnern zurück. Zwar singt sie die berühmte Arie „Vissi d’arte“ mit kultivierter Linie, doch ihr Sopran wirkt in dramatischen Momenten etwas zu kontrolliert. So entsteht eine Figur, deren innere Verletzlichkeit und Distanz spürbar sind – weniger impulsiv als reflektiert, was der Rolle eine eigenständige psychologische Note verleiht. Hervorzuheben sind die geschlossenen, klanglich dichten Leistungen der drei Chöre: des Chors des Theaters St. Gallen, des Opernchors St. Gallen sowie des Kinderchors des Theaters St. Gallen. Unter der Leitung von Filip Paluchowski (Chor) und Terhi Kaarina Lampi (Kinderchor) singen sie mit großer Disziplin und starker Präsenz. Besonders in den Szenen des ersten Akts entsteht so ein lebendiges und glaubwürdiges Klangbild der römischen Kirchen- und Stadtgesellschaft.

Annemarie Bulla verleiht mit ihren durchweg stilsicheren, historisch inspirierten Kostümen der Handlung die passende visuelle Klammer, ohne jemals ins Spektakuläre zu kippen.
Diese „Tosca” überzeugt durch Klarheit, Tempo und Dichte – ein stimmiger, spannungsvoller Auftakt zu den St. Galler Festspielen, der zeigt, dass großes Musiktheater auch unter freiem Himmel seine volle Wirkung entfalten kann.