Die wilde Wanda – Wiens einzige Zuhälterin

Kultur / 22.10.2025 • 11:00 Uhr
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Brandstätter Verlag

Clemens Marschall über eine Frau, die alle gesellschaftlichen Normen sprengte.

Wien Mit der Biografie „Wilde Wanda” hat der Wiener Musikwissenschaftler, Autor und freie Journalist Clemens Marschall ein Stück Wiener Zeitgeschichte ans Licht geholt, das lange zwischen Mythos, Klatsch und dunkler Legende oszillierte. Seine Biografie über Wanda Gertrude Kuchwalek, die einzige Frau, die sich im Wiener Rotlichtmilieu der 1960er- und 1970er-Jahre als Zuhälterin behauptete, ist ein präzises und schonungslos recherchiertes Psychogramm einer Frau, die jede gesellschaftliche Norm sprengte.

Marschall erzählt das Leben dieser schillernden, gefährlichen und zugleich tragischen Figur mit einer Mischung aus dokumentarischer Genauigkeit und literarischem Gespür für die menschliche Seite hinter der Härte. Von ihrer Kindheit als Tochter einer Schlangentänzerin über Heimerfahrungen und Misshandlungen bis hin zu ihrem Aufstieg im Milieu entfaltet das Buch eine dichte, atmosphärisch aufgeladene Chronik des Nachkriegs-Wien, in dem Gewalt, Not, Rebellion und Überlebenswille untrennbar verwoben waren.

Besonders eindrucksvoll ist, dass Marschall den Mythos entzaubert, ohne ihn zu zerstören. Er zeigt Wanda Kuchwalek nicht als groteske Randfigur, sondern als Symptom ihrer Zeit: eine Frau, die sich mit denselben Mitteln durchsetzte, die sonst Männern vorbehalten waren: Brutalität, Kontrolle, Dominanz. Ihre Macht war kurzlebig, ihr Ruhm erkauft mit Alkohol, Schlägereien und psychischer Zerrüttung. Dennoch bleibt sie eine Figur, die sich weigert, Opfer zu sein, eine, die das System der Unterdrückung durch das Spiegeln seiner eigenen Mechanismen bloßstellt.

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Marschalls Stärke liegt im Ton: Er schreibt weder voyeuristisch noch moralisierend, sondern mit einem klaren, oft melancholischen Blick. Interviews mit den wenigen letzten Weggefährten und Zeitzeugen, Polizeiakten und zeitgenössische Berichte verweben sich zu einem dichten Geflecht aus Fakten und Erzählungen. Der Autor lässt Raum für Ambivalenz – und genau darin entsteht Glaubwürdigkeit.

„Wilde Wanda“ ist keine skandalöse Lektüre, sondern eine Studie über Macht, Geschlecht und soziale Herkunft im Wien der 1960er und 1970er Jahre, als Wanda als „die gefährlichste Dame Wiens“ galt. Das Buch ist ein Stück Stadtgeschichte, das an die vergessenen Ränder erinnert, an jene Orte, an denen Glanz und Elend aufeinandertreffen. Marschalls Buch liest sich wie ein Abgesang auf eine Epoche, in der Rebellion noch körperlich und gefährlich war.

Ein fesselndes, respektvolles Porträt einer Frau, die zur Legende wurde – und ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie man über Außenseiterinnen schreiben kann, ohne sie zu verklären bzw. zu verurteilen.