Außergewöhnliches spirituelles Klangerlebnis im Feldkircher Dom

Thomas Tallis‘ 40-stimmige Motette „Spem in alium“ bei den Montforter Zwischentönen
Feldkirch Manche nehmen Drogen, um außergewöhnliche psychische Zustände zu erreichen, andere buchen teure Seminare oder gehen auf Reisen. In Feldkirch genügte es letzten Samstag einfach, sich in den Dom zu setzen und zuzuhören, maximal acht Stunden lang – und dazu noch bei freiem Eintritt. Im Rahmen der Montforter Zwischentöne wurde dort unter dem Titel „Spem in alium“ eine Konzertinstallation umgesetzt, die höchst außergewöhnliche Klangerlebnisse bescherte.
Der englische Renaissancekomponist Thomas Tallis (ca. 1505–1585) hat eine vierzigstimmige Motette „Spem in alium“ (Hoffnung auf einen anderen) komponiert, die naturgemäß sehr selten aufgeführt wird: Das rund zehnminütige Stück ist für acht fünfstimmige Chöre komponiert. Das Ensemble Multiple Voices, das aus dem Countertenor Terry Wey, dem Bariton Uli Stabler und dem Tonmeister Markus Wallner besteht, führt dieses eindrucksvolle Werk mithilfe des Zauberstabs der modernen Technik mit nur zwei Singstimmen auf. Der Countertenor singt die Sopran- und Altpartien, der Bariton die tiefen Männerstimmen; die Tenorstimme teilen sich die beiden Solisten. Der dritte im Bunde, der Toningenieur, verteilt die Einspielungen jeweils auf eine Matrix von 16 Lautsprechern, die im Kirchenraum verteilt platziert sind. So entsteht im Laufe von acht Stunden „eine aus Klang gebaute Kathedrale“ (wie es nicht übertrieben im Programmheft heißt), bei der sich nach und nach vierzig Schichten zu einem eindrucksvollen Klangbild zusammenfügen.
Die Rezensentin kam bei Take 15 von 40 in den Dom, direkt aus dem hektischen Trubel des Blosengelmarktes. Im Halbdunkel des Kirchenraumes traten die extra angestrahlten vergoldeten Altäre umso mehr hervor. Es herrschte eine entrückt-mystische Atmosphäre, einige Leute saßen über den ganzen Raum verteilt in den Kirchenbänken, manche kamen, andere gingen. Vor dem Hauptaltar unter der Heilig-Geist-Taube mit ihrem Strahlenkranz stand ein Herr im weißen Anzug mit Mikrofon, der immer wieder sang. Vor ihm ein großes aufgeschlagenes Buch mit den Zahlen 15/40. Aus verschiedenen Richtungen hörte man engelhaft reine hohe Stimmen, dann tiefe, dann wieder volleren Chorklang. Bei längerem Zuhören bekam man den Aufbau der Motette langsam ins Ohr, mit dem ein-, dann zweistimmigen hohen Beginn, dem ständigen Zuwachs an Stimmen und dem Wechsel von kontrapunktischen und choralartigen Partien. Besonders einprägsam war die Stelle nach einer Generalpause, als beim Wort „respice“ alle Stimmen gleichzeitig in einer veränderten Harmonie einsetzten. Der Tonmeister an seinem leuchtenden Schaltpult gab ganz selten Anweisungen, man konnte sich auch die riesigen Noten ausleihen und beim Zuhören mitlesen.
Wer ausharrte, kam in den Genuss eines faszinierenden Erlebnisses: Terry Wey hat eine fast überirdisch schöne, vibratolose Stimme, die sich in der Farbe dennoch in den Sopran- und Altpartien unterscheidet, Uli Stabler sang den Bariton und Bass ebenso klar und nobel. Das Klangbild war ungemein homogen und blieb trotz der vierzig Stimmen auch am Schluss immer durchsichtig, manchmal mächtig, aber nie protzig. Und durch die ständige Wiederholung mit immer neuen Varianten stellte sich bei den Zuhörenden eine Art Trance ein. Je näher man sich dem Take 40/40 näherte, desto mehr füllte sich der Dom. Die unverbrüchliche Hoffnung auf Gottes Hilfe – darum geht es im Text – wurde in der Schlussversion dann zur Gewissheit. Standing ovations für ein künstlerisches und spirituelles Ausnahmekonzert.